Profilbild von DasIgno

DasIgno

Posted on 25.1.2020

Als der Lemming mit Mario, einem Freund seines Sohnes Ben, in der Tram sitzt, bekommt der Junge eine Nachricht, springt aus der Tram und von einer Brücke. Der Lemming versuchte noch, seinen Suizid zu verhindert, scheitert aber. Traumatisiert von den Geschehnissen muss er schon am Folgetag feststellen, dass alles noch schlimmer kommen kann. Ein Shitstorm bricht über ihm ein, plötzlich ist er der Pädokriḿinelle, der den Jungen umgebracht hat. Gemeinsam mit seinem neuen Freund, dem suspendierten Chefinspektor Polivka, taucht er ein in eine Welt aus Sozialen Medien, Mobbing und Fake News. ›Im Netz des Lemming‹ ist der sechste Band in Stefan Slupetzkys Reihe über den Nachtwächter Leopold Wallisch, genannt ›Lemming‹. Der Kriminalroman umfasst 200 Seiten und erscheint am 01. Februar 2020 im Haymon Verlag. Ich gebe zu, ich war ein wenig skeptisch, als ich ›Im Netz des Lemming‹ bei NetGalley orderte. Wieder ein Buch mitten aus einer Reihe, die ich nicht kenne. Noch dazu ein österreichisches mit Spielort Wien. Bei Wiener Literatur bin ich immer ein bisschen voreingenommen: Es gibt so ein Stereotyp des Wieners, das sich zu gerne auch in der Literatur spiegelt. Immer ein bisschen borniert, immer ein bisschen was besseres, aber auf eine anstrengende Art und Weise. Das manifestiert sich irgendwie in allem. Der Sprache, der Art zu sprechen, dem typischen Wiener Dialekt, dem kommunizierten Selbstverständnis. Ich mag das nicht. Stefan Slupetzky hat mich überrascht – und das nicht nur in dieser Hinsicht. Vom Stereotyp ist nichts zu sehen. Und was mir noch viel besser gefällt, ›Im Netz des Lemming‹ ist hochpolitisch. Slupetzky lässt den Krimi in den realen Verhältnissen spielen, nimmt mehrfach und ausgiebig klar Stellung gegen die sog. Mitte-Rechts-Regierung ein – insbesondere die ÖVP kommt auch in der historischen Betrachtung nicht gut weg. Sein Szenario, organisiertes Mobbing von Rechts mit Fake News und Trollarmeen, könnte aktueller kaum sein und auch hier führt er fundiert in die Zusammenhänge ein. Das ist etwas, was mir bei deutschen Schreiberlingen sehr oft fehlt. Der alltägliche Einfluss von Rechts wird gerne im noch so sehr an die Realität angelehnten Szenario ausgeblendet. Zuletzt kritisierte ich das bei Elias Haller. Inhaltlich liest sich ›Im Netz des Lemming‹ sehr angenehm. Lemming selber ist ein gemütlicher Charakter, alte Schule, irgendwo in den Kinderschuhen der digitalen Revolution hängen geblieben. Polivka steht dem nur geringfügig nach. Die beiden bilden ein etwas kautziges, etwas abgelebtes, etwas renitentes Ermittlerduo, für das man sich schnell erwärmt. Lokalkolorit gibt es eine Menge, aber überwiegend dezent und nicht selten informativ. Insgesamt findet Slupetzky da eine sehr angenehme Mischung. Auch strukturell ist der Kriminalroman angenehm dezent. Es gibt eine Spannungskurve mit Spitzen, die drängen sich aber nicht deutlich auf. Man bekommt nicht den Eindruck, jetzt sei Seitenzahl x erreicht, jetzt muss eine Spitze her. Insgesamt ist der Handlungsablauf sehr geschliffen, was der Lektüre umso besser tut. Slupetzky verzichtet auf Nebenhandlungen und konzentriert sich ganz auf die Ermittlungen seiner beiden Protagonisten. ›Im Netz des Lemming‹ ist ein toller Kriminalroman – mit 200 Seiten ein wenig kurz, aber trotzdem in sich sehr stimmig. Und ein bemerkenswert politisches Werk für das deutschsprachige Genre. Alleine für letzteres möchte ich das Buch schon wärmstens empfehlen. Der Rest der ›Lemming‹-Reihe ist auf jeden Fall auf meiner Leseliste gelandet.

zurück nach oben