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DasIgno

Posted on 24.1.2020

2032 ist Raumfahrt wieder der heiße Scheiß. Zahlreiche Startups werden gegründet, alles scheint möglich. Während sich viele der großen Player auf den nahen Weltraum oder die Besiedelung des Mars konzentrieren, hat der schillernde Milliardär Nathan Joice andere Visionen. Er plant eine ferne Asteroidenbergbaumission, um Rohstoffe für den Aufbau der Infrastruktur im nahen Weltraum zu gewinnen. James Tighe, genannt J.T., ist Höhlentaucher und unter ihnen weltweit einer der besten. Gerade hat er auf einer Expedition seinen Mentor und väterlichen Freund verloren, da bekommt er eine mysteriöse Einladung von Nathan Joice. Der schlägt ihm einen wagemutigen Job vor: J.T. soll Teil des Teams werden, das die erste ferne Asteroidenbergbaumission durchführt. J.T. lässt sich überzeugen, doch die Mission wird mehr und mehr zum Albtraum. ›Delta-v‹ ist der neueste Techthriller des Genrevorzeigeautors Daniel Suarez. Das Buch erschien 2019 bei Rowohlt und umfasst 560 Seiten, die sich auf 51 Kapitel aufteilen. Anfang der 2030er hat sich vieles verändert. Luxemburg ist beispielsweise durch geschickte Wirtschaftspolitik zur Raumfahrernation aufgestiegen. Das erste Weltraumhotel schwebt in einem erdnahen Orbit. In der Branche herrscht Goldgräberstimmung, zahlreiche Meilensteine stehen in Aussicht. Trotzdem gilt der Bergbau auf fernen Asteroiden weiterhin als Zukunftsmusik: Zu aufwendig, um rentabel sein zu können. Ungeachtet aller Zweifler zieht Nathan Joice horrende Summen zusammen und baut im Verborgenen genau diese Mission auf. Neben J.T. werden sieben weitere hochqualifizierte Quereinsteiger für die Mission rekrutiert. Ruhm und Reichtum locken, der Pioniergeist ist entfacht. Einmal mehr wirft Daniel Suarez einen komplexen Tech-Thriller in die Manege. ›Delta-v‹ unterscheidet sich aber in vielfacher Weise von seinen Vorgängern. Suarez nahm sich in seinen bisherigen Werken immer ein großes Zukunftsthema vor, dass er mit einer bereits existierenden Technologie an der Realität verankerte und dann mit seiner Story kritisierte. Bei ›Bios‹ waren das die Gentechnik mit CRISPR als Anker. Bei ›Kill Decision‹ autonome Waffensysteme mit dem Drohnenkrieg. ›Delta-v‹ ist in der Hinsicht anders. Asteroidenbergbau ist zwar das große Thema, die Kritik richtet sich aber vielmehr an das Wirtschaftssystem im Ganzen. Das gelingt weitgehend, macht das Buch aber zu einem eher untypischen Suarez. Ebenfalls untypisch ist der doch recht schmale Anteil wissenschaftlicher Episoden. Waren Suarez’ Bücher bisher von ausgeprägten (aber verständlichen) Exkursen in die wissenschaftlichen Hintergründe ihres jeweiligen Themas geprägt, so kommt ›Delta-v‹ mit recht wenig davon aus. Die wissenschaftlichen Hintergründe erklärt er zwar, ihre Komplexität ist aber deutlich geringer als gewohnt. Das tut dem Buch nicht weh, man kann es aber mit einer anderen Erwartungshaltung starten, dann könnte man enttäuscht werden. Auch die Geschwindigkeit der Story ist recht gemütlich, besonders unter Berüchsichtigung des Zeitrahmens, in dem ›Delta-v‹ spielt: immerhin sechs Jahre. Über weite Teile plätschert die Geschichte so dahin, die Spannungskurve ist da recht flach und nimmt erst etwa im letzten Drittel Fahrt auf. Das mag auch daran liegen, dass die Handlung strukturell deutlich weniger komplex als typisch für Suarez ist. Jonglierte er bisher oft gleichwertig mit zahlreichen Handlungssträngen, die sich nach und nach verbanden, kommt ›Delta-v‹ eigentlich mit nur anderthalb Strängen daher: J.T.s als dominante Hauptlinie und Lukas Rochat, später mit Nathan Joice, als Nebenstrang. Es gibt weitere Charaktere, die einzelne Kapitel für sich beanspruchen, für echte Nebenstränge nimmt ihre Handlung aber zu wenig Raum ein. Im Dankeswort spricht Suarez über die Erstfassung des Thrillers, die wohl einen deutlich größeren Umfang hatte. Ich hatte das Gefühl, das zu merken. Teile der Handlung scheinen zusammengestrichen, gerade gegen Ende geht es doch recht schnell. Etwas auf der Strecke bleibt dabei die Auflösung der einzelnen Geschichten. Mir ist beispielsweise klar, dass Erika Lisowski tief in Nathans Pläne involviert war, ob das allerdings sie persönlich oder die NASA betrifft bleibt unklar. Genauso bleibt am Schluss die Botschaft etwas verschwommen, so dass es mir schwer fällt, das übergreifende Rahmenthema des Buches einzufangen. Ist es nun Wirtschaftskritik und falls ja, warum geht das Buch aus, wie es ausgeht? Ich bin nicht der Meinung, man hätte in den ersten zwei Dritteln des Buches Seiten sparen können, weil die Geschichte, obwohl sie dahinplätschert, unterhaltsam ist. Eher fehlen dem Buch ein paar Seiten mehr, um es rund zu machen. Alles in allem bleibt ›Delta-v‹ ein unterhaltsames Buch mit kleinen Schwächen gegenüber seinen Vorgängern. Wer Suarez mag, wird dem Buch vergeben. Wer jungfräulich an das Buch geht, wird sie vielleicht gar nicht bemerken. Ein typischer Suarez ist es durch den Handlungsrahmen allemal.

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