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Ich stand diesem Buch, das die weltweit bekannte Klima-Aktivistin Greta auf dem Umschlag zeigt, zunächst recht skeptisch gegenüber. Sollte da schnelles Geld gemacht werden mit der Berühmtheit von Greta als Erfinderin der Schüler-Streiks – obwohl das Buch ja von ihrer Mutter verfasst wurde und einen Zeitraum schildert, der vor dem Streik liegt? Sollte es sich gar um eine Mogelpackung handeln – schnell zusammengeschustert, um den Hype auszunutzen? Zumal das Buch bei etwas weniger großzügigem Layout durchaus noch mindestens 30 Seiten dünner sein könnte als es die 250 Seiten vorgeben? Nach dem Lesen komme ich zu einem anderen Urteil. Dieses Buch verdient es durchaus, gelesen zu werden! Man sollte nur wissen, was einen erwartet. Berichtet wird – wie schon gesagt – aus der Perspektive von Gretas Mutter, einer international bekannten schwedischen Opernsängerin. Sie nennt die anderen drei Familienmitglieder zwar als Mitautorin – wohl aber eher pro forma. Geboten wird kein zusammenhängender Text, keine chronologische Erzählung, kein Sachbuch. In insgesamt 92 recht kurzen „Szenen“ wird episodenhaft aus dem Leben der vierköpfigen Familie (plus Hund) berichtet. Dabei werden folgende Themen berührt: – Recht ausführlich wird die recht spektakuläre Krankheitsgeschichte der beiden Mädchen, Greta und Beata, und die damit verbundenen extremen Belastungen der Familie in einem offenbar phasenweise überforderten Gesundheits- und Schulsystem dokumentiert. Bei Greta geht es dabei hauptsächlich um Autismus, bei Beata u.a. um ADHS; in beiden Fällen in sehr spezifischer Ausprägung. – Es wird dargestellt, wie es Thema „Klima-Wandel“ eine zunehmende und letztlich die zentrale Bedeutung für die gesamte Familie gewinnt und letztlich in die Entscheidung Gretas mündet, einen Klima-Schulstreik zu beginnen. – Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe inhaltliche Statements, die die drohende Klima-Katastrophe selbst darstellen und mit immer wieder neuen Argumenten auf die Notwendigkeit eines sofortigen und radikalen Umsteuerns in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und im Alltagsleben eines jeden Einzelnen hinweisen. Es handelt sich um einen durch und durch subjektiven Erlebnis- und Überzeugungsbericht! Hier wird nicht nüchtern abgewogen oder diplomatisch formuliert. Hier schreibt sich eine Mutter, Künstlerin und Bürgerin eines reichen und selbstbewussten Landes (Schweden) ihr Leid, ihre Wut, ihre Überforderung und ihre letzte Hoffnung aus dem Herzen. Leidenschaftlich und ungefiltert. Im Laufe des Buches outet sich die Autorin selbst als erwachsene ADHS-lerin. Sie ist besorgt, enttäuscht, manchmal auch verzweifelt. Über das Chaos in ihrer Familie, über die Defizite im medizinischen Hilfesystem und über Politiker, Wirtschaftsführer und Journalisten, die die Wahrheit über die Klima-Risiken verschweigen oder beschönigen. Während des Lesens fragt man sich, was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, also die Krankheiten in der Familie mit der Entwicklung zu einer Familie mit extrem ausgeprägtem Klimakatastrophen-Bewusstsein. Man kann darüber nur spekulieren. Es könnte sein, dass die „störungsspezifische“ Wahrnehmung der Welt und die mit den Krankheiten verbundenen Extremerfahrungen die Familie aus den üblichen Mainstream-Bahnen von Verleugnung und Relativierung geworfen hat. Konfrontiert mit den existentiellen Nöten, die die Familie permanent ans Limit führt, ergeben sich möglicherweise andere Prioritäten. Muss man vielleicht sogar selbst ein wenig „schräg“ sein wie Greta, um die Widersprüche und Verrücktheiten im Umgang mit der Bedrohung unseres Planeten in aller Konsequenz zu erfassen und in Handlung umzusetzen? Warum nun dieses – eher strubbelige – Buch lesen? Nun, man bekommt eine Idee, warum eine Greta zu dieser Greta geworden ist. Und man bekommt einen anderen, unmittelbareren Zugang zum Klima-Thema als es durch ein Sachbuch erreicht werden kann. Dieser Zugang ist emotionaler, subjektiver – vermittelt aber auch noch einmal grundlegende Informationen zum Stand der Dinge. Und natürlich wird man konfrontiert mit der eigenen – viel gemäßigteren – Haltung und den damit verbundenen Inkonsequenzen. Wer ein Greta-Fanbuch oder eine strukturierte Biografie erwartet, wird enttäuscht werden. In Schweden hat die Autorin Promi-Status; dieses potentielle Motiv für einen Kauf scheidet hier bei uns aus. Einige Ausführungen beziehen sich logischerweise auf spezifisch Schwedische Verhältnisse. Ich finde das Buch insgesamt anregend und nützlich. Der Erlös wird natürlich gespendet – wie könnte es bei dieser Familie auch anders sein…