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Seitenfetzer

Posted on 30.12.2019

Ich habe noch nie etwas von Helge Timmerberg gelesen – zumindest nicht bewusst. Aber über den Titel bin ich in der Stadtbibliothek gestolpert, und warum dann nicht in ein bisschen Fernweh schwelgen? Die erste Enttäuschung vorweg: Selbst auf seinen vielen Reisen ist Timmerberg keinem Sexshop-Mitarbeiter namens Jesus begegnet. Zumindest erzählt er nicht davon. Stattdessen liefert er aber einige Anekdoten aus seinem Leben (wovon eine tatsächlich im Sexshop spielt). Für mich waren seine Texte in vielerlei Hinsicht ein Perspektivwechsel. Ich bin noch nicht viel auf diesem Planeten herumgekommen und Bangkok, Brasilien oder Kurdistan sind momentan eher weniger auf der Liste meiner nächsten Reiseziele. Daher hatte es etwas Neuartiges über die Länder zu lesen, die mich momentan eher weniger interessieren. Dazu beigetragen hat auch der Umstand, dass Timmerberg sich kaum auf die Touri-Routen begibt. Er lebt eher von Ort zu Ort ziehend, so das seine Perspektive zumindest einen kleinen Ausschnitt dessen zeigt, wie es sein könnte, an den verschiedensten Orten zu wohnen statt bloß Urlaub zu machen. Zumindest klingt Gold-Suchen im Amazonas und mehrere Jahre in Marrakesch leben für mich nicht gerade nach Optionen für meinen späteren Jahresurlaub. Das Ganze paart sich mit einem lockeren, angenehm zu lesenden Schreibstil. Also eigentlich genau das Richtige, wenn das Fernweh zuschlägt und man sich ein Leben ganz weit weg vorstellen will? Nicht ganz. Bei Timmerbergs Texten geht es nicht nur um die Orte, an denen er sich gerade befindet. Des Öfteren sind sie nur schmückendes Beiwerk, die seine Drogen-Eskapaden begleiten. Ebenfalls ein Perspektivwechsel für mich, sind selbst meine Erfahrungen im legalen Bereich eher durchschnittlich, während Timmerberg wohl auf den verschiedensten Kontinenten munter gesoffen, gekifft, gekokst und was nicht alles gemacht hat. Damit hätte ich bei einem Reisebericht eher weniger gerechnet, zumal der Konsum eher positiv bzw. recht normalisierend dargestellt wird, als ob es das normalste auf der Welt ist, nach der Landung erstmal das örtliche Dealer-Quartier aufzusuchen. Zwar werden auch gelegentlich mal schlechte Trips erwähnt, aber eher im Stil einer Erkältung. Passiert halt mal. Dementsprechend sind Timmerbergs Geschichten definitiv nicht für jeden Menschen geeignet. Aber das hätte ich noch als überraschende Wendung abtun können, die das Thema zwar etwas verfehlt, mich jedoch zum Blick über den Tellerrand zwingt. Was mich persönlich allerdings mehr genervt hat, waren die Frauen. In den meisten Fällen durften sie nur im engeren oder weiteren sexuellen Kontext als ebenso schmückendes Beiwerk wie die unterschiedlichen Länder in die Erzählungen hinein. Ob nun in einer Art Ranking, wo auf der Welt die schönsten Frauen sind, als Timmerbergs Feier-und-Bett-Gefährtinnen oder als fast schon eigenständige Persönlichkeiten, deren Darstellung aber dann doch darauf konzentriert wird, mit wem sie letztendlich die Hängematte geteilt haben – so einen kameradschaftlichen Platz wie mancher Mann in Timmerbergs Erzählungen durften sie nicht einnehmen. Irgendwann hat sich dieses Muster – Frauen und Drogen statt die Welt entdecken – immer deutlicher durch die Texte gezogen, was den Lesespaß für mich gehemmt hat. Der Schreibstil und die Möglichkeit zum Perspektivwechsel haben mich dann zwar bis zum Ende des Buches getragen, aber trotzdem: Da wäre mehr drin gewesen. Fazit Eigentlich ist Der Jesus vom Sexshop ein Buch, das einen einheimisch-angehauchten Blickwinkel auf verschiedene Orte dieser Welt ermöglicht. Allerdings wird diese Möglichkeit im Laufe der Texte durch Drogen-Eskapaden und Dauer-Party-Schilderungen verwässert, die nebenbei dafür Sorgen, dass Männer die Erzählungen tragen und Frauen oftmals eher als Requisiten fungieren. Daher vergebe ich 3 von 5 Sternen.

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