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Der erste Satz: »Das blendend helle Licht des tropischen Morgens fiel wie der Lichtkegel eines Theaterscheinwerfers durchs Fenster auf den kartonierten Jahreskalender an der Wand.« Mario Conde, früher einmal Polizist, hatte vor vielen Jahren den Dienst quittiert. Er fühlte sich schon immer als Außenseiter – bereits sein Nachname ist so wenig sozialistisch geprägt. Mehr schlecht als recht schlägt er sich als Antiquar durch, immer auf der Suche nach einem alten Buch. Und manchmal lässt er sich als Privatdetektiv engagieren, soweit der Job lukrativ für ihn ist. Sein alter Freund Bobby, ein Kunsthändler, wurde ausgeraubt. Während Bobbys Abwesenheit räumte ihm sein junger Lover die Bude aus: Möbel, Familienschmuck usw. Alles nicht so wichtig. Aber die schwarze Madonna, ein Familienerbstück, die will er zurückhaben – aus rein sentimentalen Gründen. Der Lover hatte Bobby einen falschen Namen angegeben, so viel ist schnell klar, die Nummer hat er bereits mehrfach abgezogen: sich bei schwulen, reichen Männern einschleichen und sie bei erster Gelegenheit auszurauben. Auf der Suche nach der Statue muss sich Conde in die Slums von Havanna begeben, allerdings nicht allein, Hasenzahn, Candito und Yoyi El Palomo begleiten ihn, denn dort traut sich nicht mal ein Polizist alleine hinein. Was Conde hier sieht, schockiert selbst einen hartgesottenen Detektiv und Ex-Polizisten. Am Rande von Havanna, haben sich wilde Stadtviertel gebildet. Hier haben sich Menschen ihre Behausungen aufgebaut, die man »Palestinos« nennt, die aus dem Osten der Insel stammen, die ihr Glück im Westen probieren wollen. Aber hier gibt es nichts, außer Kriminalität und Drogen. Auf der anderen Seite recherchiert Mario Conde in die Szene des Kunsthandels, der offiziell auf Kuba verboten ist – eine verschworene Gemeinschaft. Gegensätzlicher können die Gesellschaftsschichten nicht sein! Seit Kuba nach Auflösung der Sowjetunion nicht mehr finanziell unterstützt wird, geht es mit dem Land bergab. An den Sozialismus glaubt schon lange niemand mehr. Auch die Öffnung zum Tourismus kann nicht viel verändern. Das kubanische Volk glaubt inzwischen mehr an Madonnen, als an die Maximo Lider, Fidel Castro & Co., das macht Paduras Roman deutlich. »Alles für die befreite Revolution. Befreite Revolution? Musste es nicht befreiende Revolution heißen? Und hätten die Anarchisten nicht aus Beget im Osten kommen müssen? … dass sie Opfer des schlimmsten Krebsgeschwürs jenes Krieges waren: Die Männer gehörten zu einer Verbrecherbande, die im allgemeinen Chaos, mit den Parolen anderer ihre Gräueltaten begingen.« (1936) In einem zweiten Strang wird die Geschichte der schwarzen Madonna erzählt, die seit ihrer Entstehung weite Reisen zurückgelegt hat. Spanisch-europäische Geschichte wird hier eindrucksvoll eingebunden, Tempelritter, Kreuzzüge, der spanische Bürgerkrieg. »Die ersten vierzig Jahre meines Lebens musste ich mich verstellen, mich unterdrücken und quälen, damit meine Eltern, damit ihr, meine Mitschüler, damit alle Welt in diesem machistisch-sozialistischen Land glaubte, ich sei der, der ich zu sein hatte, und man mir nicht das Leben schwer machte: ein mustergültiger Junge, männlich, militant, atheistisch und gehorsam.« Die kommunistische Ideologie liegt am Boden, an der offiziell die Regierung festhält. Eine kleine Oberschicht hält gute Kontakte in die USA und nach Spanien, in denen viele Exilkubaner leben, macht Geschäfte. Korrupte Beamte halten die Hand auf. Viele Unternehmungen laufen unter der Hand. Der Tourismus, der mangels Devisen zwar zugelassen wird, kann sich unter der kommunistischen Herrschaft aber auch nicht ordentlich entwickeln. Einigen Reichen geht es ziemlich gut, die Masse der Bevölkerung lebt in bitterer Armut oder von der Hand in den Mund – der Traum von Fidel ist gescheitert, für die meisten Menschen gibt es keine Zukunft. Leonardo Padura zeichnet ein Havanna der Gegensätze, ein Land ohne Hoffnung, eine Machismo-Gesellschaft, ein Aufblühen der Kriminalität. Eine Verwahrlosung des Volks, bringt Verrohung mit sich – der Roman ist eine eindrucksvolle Studie der kubanischen Gesellschaftsstrukturen, eine die traurig macht. Trotz aller Melancholie, die in diesem Buch steckt, verströmt es auch karibische Heiterkeit und Latino-Flair, mit Sonne, Musik, kubanischen Farben und Gerüchen, alte Villen, Oldtimer, vergänglicher Luxus. Leonardo Padura ist ein Meister des Erzählens, seine Figuren sind tief aufgestellt, glaubhaft und einnehmend. Wir haben hier eine Kriminalgeschichte, zwei Morde sind aufzuklären – aber es ist ebenso eine Reise in die Vergangenheit und ein Abbild des heutigen Kubas, weit mehr als ein spannender literarischer Krimi. »Wer denkt, dass die Geschichte ihn verschon hat, der weiß nicht, dass er ohne sein Zutun Teil einer unkontrollierbaren Realität ist. Der Gedanke, dass du dich vor ihr retten kannst, ist eine Illusion, auch wenn du an einem entlegenen Ort lebst, der einem toten Flussarm gleicht. Denn wenn eine Sintflut kommt, wird alles überschwemmt, wird alles aufgewühlt, und der Fluss sucht sich ein neues Bett.« Leonardo Padura ist 1955 in Havanna geboren. Sein Werk umfasst Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus »Das Havanna-Quartett«. Der Autor ist sehr betrübt, dass seine Bücher zwar im Ausland gut verkauft werden (er veröffentlicht über einen spanischen Verlag), aber in Kuba wegen Papiermangel schwer auf den Markt kommen. Auf den kubanischen Ständen der Buchmessen sind seine Bücher nicht zu finden (bis auf eins in Bailschrift für Blinde), obwohl er zu den meistgelesenen kubanischen Autoren zählt. Im Jahr 2012 wurde ihm der kubanische Nationalpreis für Literatur zugesprochen und im Juni 2015 erhielt er den spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur. Leonardo Padura lebt in Havanna.