DasIgno
Mira Weidner arbeitet für die Vereinten Nationen. Nach Stationen in New York und Burundi ist sie nun in Genf. Sie steht im Ruf, dass andere ihr ihre Geschichten erzählen. Während Milan, bei dessen Familie sie einerseits als Kind wohnte, mit dem sie andererseits eine Affäre hatte, wieder in ihr Leben tritt, kommen Fragen zu ihrer Rolle bei der Aufklärung des Völkermordes in Ruanda auf und auch ihre aktuelle Mission, die Wiedervereinigung Zyperns, droht zu scheitern. Ihr Idealismus ist schon lange verloren, nun gerät ihre Souveränität ins Wanken. Und über allem steht die große Frage, ob die Vereinten Nationen nicht nur als gewaltiger Papiertiger ihrer eigenen Existenz dienen. ›Schutzzone‹ von Nora Bossong erschien 2019 bei Suhrkamp. Das Buch umfasst 332 Seiten, die sich in fünf Teile mit relativ kurzen Kapiteln nach Handlungsorten und -zeiten gliedern. ›Schutzzone‹ stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2019. Auf ›Schutzzone‹ kam ich durch ›Das Literarische Quartett‹. Normalerweise sind Bücher, die in der Sendung teilweise oder absolut schlecht weg kommen, ein relativ sicheres Zeichen für meinen Geschmack. ›Schutzzone‹ kam relativ schlecht weg. Gereizt hat es mich vor allem, weil es mit Menasses ›Die Hauptstadt‹ verglichen wurde, ein Buch, das mir, ungeachtet der Person Menasse, ausgesprochen gut gefallen hat. Ich hätte Sibylles Bergs Meinung, die Gast in der Sendung war und so erfreulich wie erwartbar überhaupt nicht ins Schema passte, ernster nehmen sollen. Geschafft! Das war mein erster Gedanke, als ich den letzten Satz des Buches gelesen hatte. Ich stand bis dahin wirklich oft davor, mittendrin abzubrechen, gehalten hat mich eigentlich nur eben dieser Vergleich mit ›Die Hauptstadt‹. Ich wollte Nora Bossong die Chance geben, die Kurve dahin noch zu bekommen, denn dieser Ansatz – die kritische Auseinandersetzung durch Idealismus und Desillusion mit einer von der Zielsetzung her wunderbaren Organisation – ist genau mein Ding. Leider kam ›Schutzzone‹ für mich da nie an. Es gibt zwar sehr viel Desillusion, ein kleines bisschen Idealismus, aber vor allem … … ein vollkommenes Missverhältnis zwischen Punkten und Kommata. Im ›Literarischen Quartett‹ (minus Sibylle Berg) und in zahlreichen Rezensionen wird der Sprachstil des Buches als lyrisch und Hochliteratur gelobt. Ich kann dem nichts abfinden. Viele Sätze bilden ganze Absätze, und nicht etwa kurze, einzelne beinahe ganze Seiten. Dabei baut Bossong nicht etwa nur Schachtelsätze, deren Bestandteile wenigstens noch miteinander in direktem Zusammenhang stehen. Nein, hinter nicht wenigen Kommata beginnt auch inhaltlich einfach ein neuer Satz. Die rote Linie, die sich durch das ganze Buch zog, bestand darin, dass ich am Satzende den Anfang schon wieder vergessen hatte, weil wir thematisch plötzlich an einem ganz anderen Punkt waren. Dazu kommt, dass Bossong direkte Rede nicht in Anführungszeichen setzt, sondern einfach übergangslos in die sowieso schon unübersichtlichen Sätze eingliedert. Es tut mir Leid, aber das ist für mich weder Hochliteratur noch lyrisch, das ist einfach nur eine stilistische Katastrophe – unlesbar und jenseits aller künstlerischen Freiheit nichts, was ein Lektorat erfolgreich passieren sollte. Wie bewerte ich das nun? Normalerweise sehe ich davon ab, Bücher zu rezensieren, die mir nicht gefallen haben. In jedem Buch steckt viel Arbeit, da schweige ich lieber, bevor ich die herabwürdige. Ich glaube, von ›Schutzzone‹ bin ich einfach zu enttäuscht, weil ich mich wirklich auf das Thema gefreut hatte, und ein wenig Trotz ist auch dabei. Denn im Durchhalten bis zum Ende steckte auch viel Arbeit meinerseits. Und ein bisschen spielt auch hinein, dass ich meine Abrechnung mit dem Buch nicht in eine Kurzmeinung mit 200 Zeichen packen kann, das würde dem nicht gerecht, und eine Kurzmeinung gibt es nun auf jeden Fall für jedes Buch. Zumal ›Schutzzone‹, abseits aller Kritik, durchaus leise Ansätze von dem hat, was ›Die Hauptstadt‹ so gut gemacht hat. Wie gesagt, ein Hauch Idealismus ist da, die Desillusion auf jeden Fall und Einblicke in das gar nicht so glamouröse Innenleben der Vereinten Nationen finden sich auch. Hinter allem steht ganz leise die Hoffnung, die im Gründungsideal der Organisation steckt. Auch aus Miras Geschichte hätte man für mich etwas machen können, wenn man ihr denn einigermaßen fließend folgen könnte. Die Umsetzung mit den wechselnden Rückblenden in verschiedene Handlungsstränge und der Gegenwart ist gut, sieht man mal davon ab, dass mir lange gar nicht klar war, dass die Gegenwart die Gegenwart ist. Mag sein, dass das erwähnt wurde oder implizit durch die Zeitform vorausgesetzt war, es verlor sich aber wie so vieles recht schnell. So komme ich abschließend zu mageren zwei Sternchen für Idee und die grundsätzliche Story. Das tut mir Leid, aber die Umsetzung hat mir ›Schutzzone‹ so sehr verdorben, mehr wäre schöngeredet. Wer sich grammatikalisch und stilistisch herausfordern lassen möchte, dem mag das Buch ans Herz gelegt sein, aber kaufen würde ich es erst nach einer Leseprobe. Man merkt schon auf den ersten Seiten, wohin die Reise geht, und diese Linie zieht sich durch das ganze Buch. ›Schutzzone‹ ist definitiv nichts, was man gemütlich nebenbei lesen kann.