auserlesenes
Alba im Norden Italiens: „La Cuccagna“, das Schlaraffenland, so hat die 32-jährige Ella Donati ihre neue Chocolaterie im Herzen der piemontesischen Stadt genannt. 32 verschiedene Sorten an Pralinen und ihre berühmte torta di nocciole hat sie im Sortiment. Das Rezept für den Haselnusskuchen hat sie von ihrer Mutter Francesca, deren früher Tod das Leben von Ella und ihrem Bruder Danilo, kurz Dino, überschattet. Nun ist auch noch ihr Vater Philippe nach längerer Krebserkrankung gestorben und Ella musste schweren Herzens die verschuldete Haselnuss-Plantage der Familie verkaufen. Sie leidet sehr darunter, dass nun in ihrem Elternhaus Michele Mariani, Anfang 40, mit seiner Frau Pippa und seiner Mutter Sophia wohnt. Plötzlich taucht Danilo nach längerer Abwesenheit wieder in Ellas Leben auf. Er ist bei Salvatore, einem alten Freund der Familie, untergekommen. Was seine Schwester aber nicht ahnt: Über der Familie Donati liegt ein dunkles Geheimnis, das jahrelang vor Ella verborgen wurde… „Der Geschmack unseres Lebens“ ist ein Roman von Julia Fischer. Meine Meinung: Der Roman besteht aus 43 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Sie werden eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog. Die Handlung umfasst die Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis 2018, wobei das Hauptgeschehen im Jahr 2017 spielt. Zwischendurch sind jedoch immer wieder Rückblenden eingestreut. Zudem sind Briefe aus dem 19. Jahrhundert eingefügt. Die Orientierung fällt dank genauer Orts- und Zeitangaben jedoch leicht. Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven, vorwiegend aus der von Ella, Danilo, Michele und Salvatore. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut. Der Schreibstil ist einfühlsam, anschaulich, bildhaft, atmosphärisch dicht und stellenweise poetisch. Mit viel Liebe zum Detail und in einem warmherzigen Ton entsteht ein ansprechendes Setting, das mich schon nach wenigen Kapiteln eingenommen hat. Ich habe die Geschichte sowohl als Printausgabe als auch als Hörbuch genossen. Empfehlenswert sind beide Versionen. Zwar ist das Hörbuch gekürzt, doch wird es von der Autorin selbst gelesen, deren Professionalität als Sprecherin jedem einzelnen Track anzumerken ist. Der Roman bietet eine tolle Bandbreite unterschiedlicher Charaktere, die gut ausgearbeitet sind und authentisch wirken. Mit Ella steht eine Protagonistin im Vordergrund, die zwar Ecken und Kanten hat, aber dennoch sympathisch ist. Auffällig ist dabei, dass auch die übrigen Personen komplex angelegt sind und jeder von ihnen seine eigene Geschichte hat. Trotz der fast 400 Seiten wird es beim Lesen nie langweilig. Die Geschichte ist fantasievoll und enthält sogar märchenhafte Elemente. Dennoch bleibt die Handlung sowohl schlüssig als auch abwechslungsreich. Die unterschiedlichen Erzählstränge sind sinnvoll miteinander verknüpft. Die Geschichte hat darüber hinaus einige Wendungen zu bieten. Gut gefallen hat mir der Mix an unterschiedlichen Themen, denn der Inhalt geht weit über eine simple Liebesgeschichte hinaus. Amüsante Passagen wechseln sich mit ernsteren, traurigen ab. Es geht unter anderem um Tod, psychische Krankheiten, Krieg, Sucht, Familiengeheimnisse und andere Probleme. Dadurch konnte mich das Buch immer wieder emotional berühren. Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist es, dass die Geschichte nicht nur unterhält, sondern auch viel Lehrreiches vermittelt. So erfährt man nebenviel viel Interessantes über die Region Alba und ihre Historie, über Trüffel und Haselnüsse sowie über die Produktion von Pralinen und Co. Dabei wird die fundierte Recherche der Autorin deutlich. Erwähnenswert sind auch die Extras. Abgedruckt sind in der Printausgabe ein Rezept für Haselnusstrüffel sowie eine Liste mit Literaturempfehlungen. Besonders interessant ist auch das Nachwort der Autorin, in dem sie erklärt, welche Anteile ihres Romans fiktiv sind, welche auf wahren Begebenheiten beruhen und welche sogar autobiografischer Natur sind. Das stimmungsvolle Cover ist optisch sehr gelungen. Auch der Titel gefällt mir gut. Mein Fazit: Mit „Der Geschmack unseres Lebens“ ist Julia Fischer ein vielschichtiger, tiefgründiger und gefühlvoller Roman gelungen, der – wie Schokolade – zartbitter ist und hervorragend mundet. Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, mich auf ganzer Linie zu überzeugen.