DasIgno
Die Welt vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ethel Williams, Tochter eines walisischen Bergarbeitergewerkschafters, arbeitet als Hausdame am Hof von Earl Fitzherbert – bis er sie schwängert und sie ihre Arbeit verliert. Ihr Bruder Billy beginnt da gerade seine Laufbahn als Bergarbeiter. In Sankt Petersburg brodelt es in der Gesellschaft. Grigori und Lew Peschkow, zwei waise Lohnsklaven, geraten in die Anfänge der sozialistischen Revolution. Während Lew, der sich primär als Kleinkrimineller betätigt, in die USA fliehen muss, aber nur in Cardiff landet, kämpft Grigori weiter gegen das zaristische Regime. Auch Walter und Robert von Ulrich, beide gerade am Beginn ihrer diplomatischen Karrieren, sehen unruhigen Zeiten entgegen. Während Robert in Österreich den Mord an Erzherzog Franz Ferdinand erlebt, stemmt sich Robert für Deutschland mit aller Kraft gegen Kriegspropaganda und für die Demokratie. Unterdessen muss Gus Dewar, aufstrebender Berater im Stab Woodrow Wilsons, mit ansehen, wie der amerikanische Präsident immer größere Schwierigkeiten bekommt, sich aus der europäischen Politik heraus zu halten. ›Sturz der Titanen‹ ist der erste Band in Ken Folletts Trilogie ›Jahrhundert-Saga‹ über die großen geschichtlichen Einschnitte des 20. Jahrhunderts. Das Buch erschien 2012 bei Bastei Lübbe und umfasst 1037 Seiten. Die ›Jahrhundert-Saga‹ lag schon wirklich sehr lange auf meinem Bücherstapel, bis ich sie jetzt endlich mal angegangen bin. Ich erwähnte ja schon bei Kutscher, dass historische Romane eigentlich nicht mein Ding sind; geht es dann noch in Richtung Adel, bin ich ganz raus. Follett war so ein typischer ›Muss mal wohl irgendwann mal gelesen haben‹-Fall und weil ich gerade wenig Glück bei Buchverlosungen habe und auf meinem Bücherstapel nur noch Bücher lagen, die mich gerade noch weniger gereizt haben, war es nun soweit. Um das gleich vorweg zu nehmen, ›Sturz der Titanen‹ ist ein epischer Roman, die Anzahl der Seiten täuscht da kein bisschen. Ken Follett erzählt gesellschaftliche und politische Entwicklungen im Umfeld des Ersten Weltkriegs an unterschiedlichsten Schauplätzen sehr detailliert. Auf diese Weise bekommt man einerseits ein ziemlich gutes Gefühl dafür, wie sich die europäischen Aristokratien ihrem Untergang entgegen bewegten, andererseits wie viele objektiv unsinnige Entscheidungen dazu führten, dass der Erste Weltkrieg überhaupt ein Weltkrieg werden konnte. Follett macht dabei keinen Halt vor dem Grauen, das der Krieg mit sich brachte. Seine Hauptfiguren sind zum Großteil schon in der Vorkriegszeit miteinander verbandelt, mit dem Krieg treffen sie teilweise auf den Schlachtfeldern wieder aufeinander, um den Irrsinn zu vervollständigen. Ein großes Thema sind die Frauenrechte. Follett spielt den Kampf der Suffragetten an Lady Maud Fitzgerald und später Ethel Williams durch. Beide Frauen schlagen, obwohl vollkommen gegensätzlicher Herkunft, erst eine aktivistisch-journalistische, dann eine politische Karriere ein. Ihre Wege kreuzen sich früh als Ethel Hausmädchen beim Earl Fitzgerald ist, Maud und Ethel freunden sich schnell an, denn als politisch aktive Frau ist Maud das schwarze Schaf der erzkonservativen Familie. Ein weiteres großes Thema ist die sozialistische Revolution in Russland. Hier lässt Follett Grigori Peschkow an der Seite der ideologischen Revolutionsführer (Lenin, Trotzki) wirken. Follett stellt detailliert nach, wie die Revolution zu genau dem diktatorischen Gegenteil dessen wurde, was sie ursprünglich bekämpfen wollte. ›Sturz der Titanen‹ – und ich weiß, das wird mit ›Winter der Welt‹ noch schlimmer – ist in diesen Tagen für mich alles andere als leichte Literatur. Auf der einen Seite sollte historische Unterhaltungsliteratur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das sicher nie vollumfänglich sein. Die Zeit war grausam, die vorherrschenden Ideologien schmerzen aus heutiger Sicht schon beim Lesen, erlebt man Figuren, die sie auch noch mit Herzblut vertreten, wirkt das umso schlimmer. Auf der anderen Seite lassen sich aber auch zunehmend Parallelen zur heutigen Zeit ziehen, nicht nur in ideologischer Hinsicht, auch in realpolitischer. Der Erste Weltkrieg beispielsweise, der nur zu einem Weltkrieg werden konnte, weil unzählige Spitzenpolitiker mit dem Feuer gespielt und offensichtlich brandgefährliche Entscheidungen getroffen haben, ohne einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Oder die vollkommen selbstverständliche Selbstüberschätzung und der gleichgültige Umgang mit ›Soldaten‹leben. Oder die Art und Weise, mit der Frauen an den Herd argumentiert wurden. All das ist in mehr oder weniger leicht abgewandelter Form immer noch da. Und es bricht sich gerade wieder Bahn. Liest man das mit der Gewissheit, dass diese dunkle Epoche vorbei ist und wir Lehren aus ihr gezogen haben, kann ich damit weitgehend gut umgehen. Wird es aber wieder Mahnliteratur, tut die Machtlosigkeit vor der aktuellen Entwicklung umso mehr weh, denn man müsste nur mehr lesen, es steht zahlreich geschrieben, wo sie uns final hinführen wird. Nichtsdestotrotz, ›Sturz der Titanen‹ hat mich soweit gefangen, dass ich die ›Jahrhundert-Saga‹ jetzt durchziehen werde. Und ich empfehle es, auch wenn sich Follett stellenweise zu sehr in Details verliert (irgendwo müssen die tausend Seiten ja herkommen), gerade vor der aktuellen Entwicklung als mahnendes Beispiel wärmstens. Literatur dieser Art ist wichtig und sie sollte gelesen werden, vorzugsweise bevor die Welt wieder brennt.