auserlesenes
Der Student Nishikawa läuft in einer regnerischen Nacht ziellos durch die Straßen Tokios. Nahe einer Brücke, am Fluss Arakawa, entdeckt er per Zufall die Leiche eines Mannes. Für Nishikawa deutet die Szene auf einen Selbstmord hin, denn neben dem Toten liegt ein Revolver. Nach dem ersten Schock nimmt der junge Mann aus einem Impuls heraus die fremde Waffe an sich und verschwindet mit ihr unauffällig. Schnell findet er Gefallen an dem Revolver, der eine unheimliche und gefährliche Faszination auf ihn ausübt. Schon nach wenigen Tagen ist er geradezu besessen von der Waffe, in der noch vier Kugeln stecken. All seine Gedanken kreisen um sie. Er poliert sie immer wieder. Doch bald schon treibt ihn die Fantasie um, den Revolver abzufeuern. Wird er dem Drang nachgeben? „Der Revolver“ ist der Debütroman von Fuminori Nakamura. Meine Meinung: Der Roman besteht aus 17 eher kurzen Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Nishikawa in chronologischer Reihenfolge. Vorangestellt ist ein ebenso informatives wie sympathisches Vorwort des japanischen Autors. Geprägt ist der Roman von einer klaren, recht prägnanten Sprache. Der Schreibstil wirkt zunächst ziemlich nüchtern, hat aber immer wieder eindringliche Sprachbilder und Vergleiche zu bieten. Dadurch wird eine dichte Atmosphäre erzeugt. Von den ersten Seiten an versteht es der Autor, mit seinen Worten zu fesseln. Besonders grandios finde ich den Einstieg. Im Mittelpunkt der Geschichte steht zweifelsohne Nishikawa, der im Alter von sechs Jahren seine leibliche Familie verlassen musste, bei der er noch Tōru hieß. Nach einer Zeit im Kinderheim wurde er von Adoptiveltern aufgenommen. Die Gefühle von Einsamkeit, Gleichgültigkeit und der eigenen Bedeutungslosigkeit dominieren sein Leben, in das der Revolver Abwechslung bringt. Nicht immer konnte ich das Verhalten des sonderbaren Protagonisten in Gänze nachvollziehen. Zudem fiel es mir schwer, trotz seiner nicht leichten Kindheit Sympathie für ihn zu entwickeln, doch seine Gedanken- und Gefühlswelt wird sehr gut deutlich. Auch die übrigen Figuren im Roman kommen keineswegs klischeehaft daher. Mit der Handlung rund um den Revolver greift der Autor eine interessante Thematik auf: den Umgang mit Schusswaffen. Inhaltlich ist der Roman auch ansonsten recht düster angehaucht. Der Tod nimmt viel Raum ein, wobei es darum nicht nur im Zusammenhang mit der Waffe geht. Auch Krankheit, Tierquälerei, Missbrauch und andere Themen spielen in der Geschichte eine Rolle. Darüber hinaus gibt es weitere gesellschaftskritische Komponenten. So schafft es das Buch an mehreren Stellen, zum Nachdenken anzuregen. Auf knapp 200 Seiten bleibt die Spannung konstant von Anfang bis Ende erhalten: Wird der Protagonist der Versuchung der Waffe nachgeben? Besonders intensiv sind die Kapitel zu Beginn und zum Schluss. Im Mittelteil fällt der Roman ein wenig ab, wobei auch dort keine Langeweile beim Lesen aufkommt. Das Cover mit der Illustration von Andy Warhol passt sehr gut zur Geschichte. Auch der knackige, schnörkellose Titel gefällt mir. Mein Fazit: Mit „Der Revolver“ ist Fuminori Nakamura ein lesenswertes Debüt gelungen, das mich fesseln konnte. Eine besondere Lektüre, die neugierig auf das übrige Werk des Autors macht.