Gabriele Feile
Dem Titel nach hatte ich mit einem Krimi gerechnet. Klassisch wie bei Agatha Christie: ein Mord in einer englischen Kleinstadt. Ich wurde schnell eines Besseren belehrt. Denn der Originaltitel des Buches lautet "The Casual Vacancy". Zu Beginn von Teil eins wird erklärt, was damit gemeint ist: Eine plötzliche Vakanz, die zum Beispiel am Tage des Todes eines Ratsmitgliedes eintritt. Es geht um Barry Fairbrother, Mitglied des Gemeinderates von Pagford, der mit Anfang 40 an einer Hirnblutung stirbt. Das passiert im ersten Kapitel, und in allen folgenden wird sukzessive klar, was dieser Tod für die Einwohner von Pagford bedeutet. In dieser Hinsicht lehnt sich Rowling an die klassischen englischen Krimis an. Zunächst war ich verwirrt, angesichts der vielen Charaktere, die nach und nach und ziemlich clever in der Geschichte auftauchen. Um zu verstehen, wie die Menschen miteinander verbunden sind, ist aufmerksames Lesen angebracht. So webt Rowling einen Teppich mit kompliziertem Muster, der die Verhältnisse hinter den Haustüren von Pagford und dem ungeliebten Stadtteil Fields zeigt. In Fields, einer Sozialsiedung, leben "hoffnungslose Fälle" und es gibt eine Drogenklinik. Barry Fairbrother, ebenfalls in Fields geboren, hatte sich für den Erhalt der Klinik und für den Verbleib des Stadtteils bei Pagford eingesetzt. Im Gemeinderat hatte er dafür nicht nur Unterstützer, sonder auch erbitterte Gegner. Mit seinem Tod ändert sich die Situation und es wird ein Sitz frei. Wer den Sitz bekommt kann das Zünglein an der Waage sein für die anstehenden Entscheidungen. Also beginnen die Intrigen und es kommt zu unerwarteten Schlägen unter die Gürtellinie und ja, auch zu Unglücken. Beim Lesen war ich sowohl fasziniert von den Charakteren und ihren Geschichten als auch angewidert. Denn: Rowling zeichnet so ein genaues Bild der menschlichen Psyche mit all ihren Unzulänglichkeiten, dass man sich und seine niederen Instinkte und persönlichen Bedürfnisse wiedererkennt. Es kann weh tun, zu lesen, was die Menschen dazu antreibt, Dinge zu tun, die "man nicht tut". Gleichzeitig kann Mitleid hervorgerufen werden, weil all das nur allzu menschlich ist. Denn es geht um Ehen, die nur nach außen funktionieren, um Familien, die versuchen, den Schein zu wahren, um Eltern, die ihre Kinder ignorieren oder misshandeln. Um Kinder, die ihre Eltern abgrundtief hassen. Kurzum: in Pagford herrscht Krieg, wie es der Klappentext beschreibt. Die begnadete Erzählerin J.K. Rowling beweist mit diesem Buch, dass sie nicht nur Fantasie hat, um eine Zauberwelt um Harry Potter zu entwerfen, sondern auch genug Einblick und Realitätssinn, um das augenscheinliche Bilderbuchleben in (englischen) Kleinstädten darzustellen. Ich habe das Buch also an einem Wochenende gelesen. So wie es mir mit den Harry Potter Büchern damals auch ging.