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drwarthrop

Posted on 14.10.2019

Ach der Dick - der Dick ist ein armer Wicht. Muss sein angefangenes Jurastudium auf Grund auto-aggressiver Verhaltensmuster (beißt sich selbst in den Arm) nach anraten eines Arztes abbrechen und wohnt noch bei seinen Eltern im unfreiwillig zöllibertären Jugendzimmer. Um dem Stress zu entkommen und gleichzeitig den hohen Erwartungen seiner Erzeuger zu entsprechen bewirbt sich Dick im Schweizer Bankinstitut und wird dort trotz fehlender Kenntnisse und geringer Belastbarkeit sofort eingestellt - zur eigenen Überraschung. Bachmann, Dicks neuer Vorgesetzter ist ein freundlicher, aber dauerbeschäftigter, junger Mann, der wenig Zeit dafür aufbringen kann Dick in die Feinheiten seines neuen Arbeitsfeldes einzuarbeiten - so sitzt Dick die meiste Zeit des Tages rum und versucht beschäftigt auszusehen. Kurz darauf ist Bachmann krank und während Dick die kleine Abteilung kommissarisch leiten muss begegnet er Leonhart: einem der fantastic five; den unangefochtenen Platzhirschen des Ladens. Dieser findet Dick direkt sympatisch und macht keinen Hehl daraus, dass er Bachmann schnellst möglich aus der Firma haben möchte, um Dick zu dessen Nachfolger zu machen. Gesagt, getan. Ab dieser Sekunde beginnt eine blümerante, finale Abwärtsspirale menschlicher Psyche, die letztendlich zur Geburt "Mobbing Dick"s führt - dem Mr. Hyde unseres Provinzprotagonisten, der noch einige Tricks auf Lager hat..... Zürcher leitet in diesem Antimärchen durch eine luzide, paranoide Geschichte, gefüllt mit spleenigen Charakteren und eklatanten Folgen. Die dabei gesetzte Kritik an der fehlenden emphatischen Reaktion seines Umfelds auf seine Situation im Einklang mit den erbitterten, harten Machtkämpfen, in die er sich nun verstrickt sieht entwickelt sich zu einem interessanten Kontrastprogramm. Dabei kann schnell der Eindruck simplifizierter Kapitalismuskritik entstehen, die weder haltbaren Boden besitzt, noch beim Leser Spuren zu hinterlassen vermag, jedoch vom Autor lediglich als umfassende, erdrückende Kulisse genutzt wurde, die dem Leser erst nach und nach präsentiert wird. Die Akteure befinden sich dabei in einem ständigen, irrationalen Kampf der Anerkennung, des Ruhms und nicht zuletzt dem letzten Rest übrig gebliebener Menschenwürde, ohne dabei auf so etwas wie Pietät oder Moral zu achten. Schnell mutiert die Bankanstalt zu einer Irrenanstalt, aus der Dick versucht zu fliehen - desto stärker er sich wehrt, desto mehr versinkt er langsam im Morast der Lügen. Kein Entkommen möglich, nur das unausweichliche Verschlingen abwartend versucht er sich ein letztes Mal durch sein Alter-Ego zu retten und driftet dabei in einer fast romantischen Manier völlig gen Abgrund. Der Roman beschreibt durch simplifizierte, paranoide Diktion den Abstieg eines unschuldigen Jungen in eine brutale, kalte und verlogene Welt. Gerade die konturlose Aneinanderreihung von direkter Rede, visuellen Beschreibungen und Realität vermischen sich zu einem expressiven Gemälde, das die fragile Wand zwischen "rational" und "irrational" kurz erschüttern lässt. Dabei nimmt die visuelle Ebene immer weniger Raum ein und lässt Platz für den kognitiven, emotionalen und moralischen Verfall des Protagonisten, der durch Alkohol und Einsamkeit in rasender Geschwindigkeit seinen inneren Dämonen verfällt. Zudem vereint der Autor die Irrationalität des Bankinstituts, inklusive völlig verwirrenden Vorgänge und neurotisch-aggressiver Kollegen mit dem alltäglich stattfindenden Wahnsinn, der sich von Zeit zu Zeit aufdrängt. Leider bleibt trotz der vielen metaphorischen Eigenheiten kaum ein nennenswert prägnanter Punkt hängen, verschwindet in luziden Verschrobenheiten. Tom Zürcher trägt durch seinen Roman eine eigene, charmante literarische Ader, die bis auf wenige Ausnahmen konsequent vorhanden ist, meist den gewollten Ton zu treffen vermag, jedoch in der finalen Aussage kaum hörbar verklingt. Mit den spleenigen Charakteren, der unkonventionellen Sprache und den metaphorischen Besonderheiten entsteht hier eine neurotische, kontrastreiche Geschichte eigentümlicher Fulminanz, die harte Kritiker des Feuilletons nicht überzeugen wird, jedoch für "den Leser von nebenan" durchaus einen Blick wert ist.

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