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schnick

Posted on 8.10.2019

"Aber... wieso wollt ihr die Welt beherrschen? Ich dachte, das sei eine Idee der Antisemiten?", fragt Motti, nachdem der Gesang verebbt ist. "Ist es auch", sagt Steve, "aber wir finden sie gut und wollen sie in die Tat umsetzen." Hach❣️ Am liebsten würde ich es bei diesem Hach❣️ belassen, aber das geht nicht, denn Thomas Meyers "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit einer Spionin" hat besseres verdient. Wie soll ich dieses Buch beschreiben? Eigentlich ist mit dem Zitat oben bereits alles gesagt oder anders ausgedrückt: Dieses Zitat ist repräsentativ für das Buch. Wer sich angesichts der Inhaltsangabe (eine Gruppe Juden trachtet nach der Weltherrschaft, was allerdings auch eine Gruppe Nazis, die sich Ende des 2. Weltkrieges in einen Berg in Bayern zurückgezogen hat, tut) ein bisschen an "Iron Sky" erinnert fühlt, für den habe ich volles Verständnis. Allerdings ist Thomas Meyers Roman nicht so brachial, subtiler und jüdischer. Es ist herrlich!  Erzählt wird die Geschichte in zwei Handlungssträngen, die sich im Verlauf des Romans annähern, bis sie endlich aufeinanderprallen - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Weg zum Finale ist voller Absurditäten und doch so realitätsnah, dass es teilweise erschreckend ist. Ich musste unzählige Male lachen, mir blieb ab und zu das Lachen im Hals stecken, ich habe mich prächtig amüsiert und Thomas Meyer hat einen durch und durch liebenswerten Roman abgeliefert, den ich euch nur ans Herz legen kann. Er legt die Finger in die Wunden, ohne dass es uns zu sehr weh tut, er beschreibt jüdisches Leben auf so wunderbare Weise und so voller Witz, dass es eine Wonne ist. Und auch wenn zwischendurch immer wieder durchschimmert, wie sehr ihm der Hass zu schaffen macht, bewahrt er die Fassung, zieht sein Ding durch und liefert eine herrlich skurrile und doch durch und durch liebevoller Geschichte. Mit Motti Wolkenbruch hat er einen wunderbaren Helden wider Willen erschaffen, der so wunderbar tapsig und gleichzeitig schlau ist, dass man ihn einfach lieben muss - ganz zu schweigen von seiner Mame. Eine der großartigsten Szenen ist das erste Aufeinandertreffen und der darauf folgende Schlagabtausch von Mottis Mame und "Alexa" (bzw. SCHOSCHANNA, deren Naturell auf einer Mame basiert). Wer da nicht Tränen lacht, hat keinen Humor (was übrigens auch auf die Auseinandersetzung zwischen HASSMASCHINE und SCHOSCHANNA gilt).  Meyer liefert eine humoristische Antwort auf den (rechten) Hass, der täglich im Internet landet, und dem er mit Sicherheit oft selbst ausgeliefert ist. (Seine Erklärung, wer hinter den Hassattacken steht, ist einerseits so absurd und andererseits so nah an der Realität, dass es zum Weinen ist). An einigen Stellen hat er mich stark an Hasnain Kazim erinnert, der ebenfalls versucht, dem Hass mit Humor zu begegnen. Vielleicht ist es anders auch wirklich nicht möglich. Und was können wir am Ende mitnehmen, außer dass wir viel gelacht haben und bestens unterhalten wurden? Vielleicht das: unser Herz zu öffnen, dem Hass keine Chance zu geben und einfach ein bisschen netter zueinander zu sein. "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit einer Spionin" ist ganz großes Kino - und ganz ehrlich erhoffe ich mir tatsächlich eine Verfilmung.

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