DasIgno
Berlin im ausklingenden Sommer 1935. Während der Reichsparteitag in Nürnberg seine Schatten voraus wirft, stirbt in Berlin ein SD-Mann in einem Taxi. Der Fahrer fuhr einfach mit Vollgas gegen eine Mauer. Gereon Rath, mittlerweile Oberkommissar, aber bei Gennats Mordinspektion auf dem Abstellgleis, wittert Ungereimtheiten. Obwohl er zum LKA wechselt, ermittelt er auf eigene Faust weiter in dem schnell geschlossenen Fall. Dabei gerät er tief in die Vergangenheit. In Charlys, Marlows, Liangs und einiger Nazigrößen, bis in die höchsten Kreise des Reichsinnenministeriums. Schnell wird der SD auf ihn aufmerksam, doch er und Charly stecken schon zu tief in der Sache. ›Marlow‹ ist der siebte und jüngste Band in Volker Kutschers Zyklus ›Gereon Rath‹. Erschienen ist das Buch 2018 bei Piper. Es umfasst 521 Seiten, die sich auf insgesamt 94 Kapitel gliedern. ›Marlow‹ widmet sich, das überrascht nicht, dem zuletzt strauchelnden Berliner Unterweltkönig Johann Marlow. Seine und die Geschichte seiner rechten Hand Liang Kuen-Yao bilden den Mittelpunkt der Geschichte. Dabei kommt nicht wenigen anderen der bisherigen Nebenfiguren ebenfalls eine zentrale Rolle zu. Längst abgeschlossene Fälle aus Böhms Vergangenheit bei der Mordinspektion, unter anderem der Tod von Charlys Vater, werden wieder aktuell. Ein großer Teil widmet sich zudem Fritze, der mit der HJ am Reichsparteitag in Nürnberg teilnimmt. Entgegen der Tendenzen der letzten Bände beginnt Gereon sich doch wieder ein wenig zu entwickeln. Insbesondere seine Erfahrungen beim Reichsparteitag führen zu Zweifeln an seiner politisch gleichgültigen Grundhaltung. Auch Fritze beginnt, seinen Eifer für HJ und Nazis in Frage zu stellen. Kutscher versucht hier scheinbar vor allem für Gereon einen Spin, um dem Problem der letzten Bände, dass Gereons Charakter weitgehend auserzählt war, entgegen zu wirken. Das gelingt zwar, kommt mir aber tatsächlich ein wenig zu spät, um wirklich glaubhaft zu sein. Gerade Gereon hat die Repressionen von Anfang an hautnah mitbekommen, wenn er da jetzt Zweifel entwickelt, hätte er die eigentlich schon viel früher entwickeln müssen. Fritzes Entwicklung wirkt da glaubwürdiger, weil sie mit dem Marsch nach Nürnberg ein einschneidendes Erlebnis hat. Wie dem auch sei, es freut mich, dass Gereons Zweifel nun doch noch kommen. Der Fall an sich beginnt unspektakulär. Ein Taxifahrgast und sein Fahrer sterben, weil das Taxi mit voller Geschwindigkeit gegen eine Mauer fährt. Es soll Gereons letzter Fall für die Mordinspektion werden, wenige Tage nach dem Unfall wechselt er ins Berliner LKA. Doch der Unfall wirft Fragen auf. Gereon findet bei den Sachen des Fahrgastes Geheimakten des SD mit brisantem Inhalt. Außerdem wird beim Taxifahrer ein großer Hirntumor festgestellt, das Verbindungselement zu Böhms alten Fällen. Der Fall wird schnell zu den Akten gelegt, doch Böhm, Charly und Gereon ermitteln auf eigene Faust weiter und verfolgen die Spur in die Vergangenheit. Dabei stoßen sie auf Verwicklungen bis ins Reichsinnenministerium und zu Johann Marlow, der seine Geschäfte gerade zu legalisieren versucht. Realhistorisch steht der Reichsparteitag 1935, der u.a. das Flaggen- und die Nürnberger Rassegesetze beschlossen hat, im Zentrum der Geschichte. Hitlers Rede vor der HJ – Windhunde, Leder, Kruppstahl – findet ebenso Eingang in die Handlung wie Julius Streicher, Gauleiter von Franken und Herausgeber des Stürmer. Abseits der Nürnberger Handlung wird der Machtkampf zwischen Görings Polizeiapparat und Heydrichs politischen Paramilitärs behandelt – insbesondere die Rolle des SD. ›Marlow‹ folgt der Entwicklung der letzten Bände. Kutscher wird für mich immer besser. ›Marlow‹ ist zwar in einiger Hinsicht anders als die bisherigen Bände, dafür aber auch sehr viel persönlicher für die handelnden Figuren. Das Buch füllt sie mit Vergangenheit und führt gleichzeitig ihre Gegenwart weitgehend stimmig weiter. Nach dem Buch freue ich mich auf jeden Fall auf zukünftige Fortsetzungen.