Sophie Weigand
Max, Reik, Tonio und Pega fahren für ein Wochenende ins ländliche Brandenburg. Was eigentlich als harmonische Zusammenkunft anlässlich Max und Reiks langjähriger Partnerschaft gedacht ist, wird zu einer Kette von Ereignissen, die die Koordinaten für alle verändert. Kintsugi steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019. Sie könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Max als ordnungsliebendes Kind einer Hippiekommune, Reik als weltberühmter Künstler aus problematischem Elternhaus, Tonio als Sohn italienischer Immigranten und Pega, Tonios Tochter, die zwar ohne Mutter, aber mit den drei Männern als Familie aufgewachsen ist. Max und Reik sind nun zwanzig Jahre ein Paar und wollen das mit einem Aufenthalt in ihrem Wochenendhaus feiern. In dieser räumlich begrenzten Situation brechen nun aber Konfliktlinien zwischen den Protagonisten auf, die lange unausgesprochen geblieben sind. Max fühlt sich, trotz aller oberflächlichen Harmonie, eher als Beiwerk und Stützpfeiler in Reiks kometenhafter Karriere. Tonio trauert noch immer Reik hinterher, mit dem ihn in Jugendjahren eine Partnerschaft verband. Pega (von allen nur, etwas gruselig, “Kniefte” genannt) glaubt, dass sie Tonio ein Klotz am Bein ist. Reik hadert mit sich, seinen Zweifeln und seiner Künstlerkarriere. In wechselnden Kapiteln erzählt Kintsugi aus den vier verschiedenen Perspektiven von Brüchen und Schwierigkeiten, von vergangenen Erfahrungen und dem gegenwärtigen Zusammentreffen. Durchbrochen sind diese Kapitel von dialogisch angelegten Szenen, in denen jeweils ein Streitpunkt eskaliert und ein Konflikt offen ausgetragen wird. Obwohl Kintsugi sich flüssig liest, bleiben Motivationen und verhandelte Probleme oft nebulös. Im Grunde geht es den Protagonist*innen gut. Sie unterstützen und lieben einander seit langer Zeit, auch wenn sie sich manches verschweigen (soweit nichts Ungewöhnliches in jeder erdenklichen Beziehung). Max ist Archäologe und Dozent an der Universität – gesegnet offenbar mit einer Ausstrahlung, wie sie nur wenige besitzen, jedenfalls hängen die Student*innen in Scharen an seinen Lippen. Reik hat in der Kunst einen Weg gefunden, sein inneres Ungleichgewicht zu kompensieren und verdient mit seinen Werken mittlerweile ein Vermögen. Tonio hat sich ganz bewusst für seine Tochter Pega entschieden und liebt sie abgöttisch, auch wenn er bisweilen damit hadert, von seinem Vater früh verlassen worden zu sein. Pega selbst wurde von den drei Männern stets unterstützt und behütet; dass sie ihre Mutter nie kennengelernt hat, ist für sie emotional kein großes Problem. Diese Ausgangslage bietet im Grunde wenig Stoff für Konflikte und so wirken einige Streitsituationen im Roman auch eigentümlich aufgesetzt und inszeniert. Zwar trennen Max und Reik sich schließlich, nach langer Zeit des harmonischen Beieinanderseins (immer wieder betont der Roman, wie gut beide aufeinander abgestimmt sind), aber selbst diese Trennung verläuft für alle Beteiligten gesittet ab. Dinge ändern sich, so steht es selbst im Roman. Es kann manchmal nicht alles bleiben wie es immer war. Zwar geht eine japanische Teeschale zu Bruch, die am Ende in der Tradition des Kintsugi – die Bruchkanten werden mit Gold aufgefüllt – wieder zusammengefügt wird, aber selbst das entwickelt keine emotionale Dringlichkeit. Miku Sophie Kühmel erzählt in ihrem Debüt einfühlsam von ungewöhnlichen Lebensläufen und damit verbundenen Hindernissen, sie kreiert durchaus eigenständige Charaktere und doch fehlt dem Roman die Sprengkraft, die er mit seinem Setting vorgibt. Die Melancholie des Textes wirkt wurzellos. Was haben die Protagonist*innen einander eigentlich vorzuwerfen? Selbst die frühen Hindernisse – z.B. schwul in einer Zeit zu sein, in der Homosexualität noch kriminell war – bleiben Randbesiedlung. Am Ende haben sich zwar Beziehungskonstellationen verändert und es sind Sätze gefallen, die eher der Anspannung als der Überzeugung geschuldet sind. Die Beziehungen als solche aber sind nicht erschüttert, sie sind noch immer von Liebe und Wertschätzung geprägt, in einem Brief an Reik schreibt Max als Schlussformel: At least I know that we can share the pain. Man kann Kintsugi als eine Art modernen Familienroman lesen, als Beziehungsroman, als Roman über Brüche, Verletzungen und ihre besondere Schönheit. Auf dem Buchrücken steht, es ginge im Roman auch darum, „dass es weitergeht“. Und das tut es. Trotz aller biographischen Brüche dann doch erstaunlich bruchlos.