DasIgno
Berlin im Sommer 1932. Im legendären Vergnügungstempel ›Haus Vaterland‹ ertrinkt ein Spirituosenlieferant in einem Aufzug. Die Polizei, sowieso schon überlastet, tappt im Dunklen. Die Spur führt in eine Vergangenheit tief in Ostpreußen. Gereon Rath, der mittlerweile mit Charly verlobt ist, wird für die Ermittlungen von Gennat ins ostpreußische Treuburg geschickt, da Charly, mittlerweile Kommissaranwärterin, für den Fall in die Mordkommission versetzt wird. Dort erwartet ihn eine tief nationalistische Gemeinschaft mit einem dunklen Geheimnis, das mehr und mehr mit dem aktuellen Fall in Zusammenhang zu stehen scheint. ›Die Akte Vaterland‹ ist der vierte Fall für Volker Kutschers Kommissar ›Gereon Rath‹. Das Buch erschien 2012 bei Kiepenheuer & Witsch und umfasst 563 Seiten, die sich in insgesamt 102 recht kurze Kapitel gliedern. Gereon Raths vierter Fall beginnt mysteriös. In einem Lieferantenaufzug des ›Hauses Vaterland‹ liegt ein ertrunkener Spirituosenhändler und alle Spuren deuten darauf hin, dass der Aufzug auch der Tatort ist. Rath kann weitere Fälle mysteriöser Ertrinkungsopfer ermitteln und die stehen tatsächlich in einem Zusammenhang. Jahre zuvor lebten sie alle im ostpreußischen Treuburg, arbeiteten dort in der Mathée-Spirituosenfabrik und für deren Direktor Wengler offenbar auch als Schlägertrupp. Alle drei Mordopfer verließen Treuburg zeitgleich und auf diesen Zeitpunkt fällt auch ein alter Fall, der die Firma Mathée betrifft. Rath ermittelt vor Ort. Treuburg bzw. das ganze Masuren ist ein Kulturschock. Als preußische Exklave tief in Polen ist der Nationalismus hier schon deutlich stärker ausgeprägt als im fernen Berlin. Die SA verbreitet offen Angst und Schrecken unter den wenigen Gegnern der Nazis. Und ganz Treuburg scheint ein dunkles Geheimnis zu haben und stramm hinter Wengler, der sich zu einer Art inoffiziellem politischen Führer der Stadt entwickelt hat, zu stehen. Raths Ermittlungen werden gefährlich, er kratzt an einer sehr dünnen Oberfläche, doch aufhalten lassen will er sich nicht. In Berlin überstürzen sich derweil die Ereignisse. Kutscher fängt auch dies hervorragend ein. Die Berliner Polizeiführung, allesamt von den Sozialdemokraten eingesetzt, wird durch die Reichswehr abgesetzt, die preußische Regierung ebenso. Das Kabinett Hitler macht Nägel mit Köpfen und baut dabei u.a. den Polizeiapparat um. Fokus der Ermittlungsarbeit wird nun der Kampf gegen politische Gegner. Die SA, bis vor kurzem noch verboten, steht kurz davor, in den Stand von Hilfspolizisten erhoben zu werden. Kutscher hält sich hier nah an die historische Realität, wie er das bei den einschneidenden Entwicklungen zum Dritten Reich hin eigentlich immer tut. Auch die politische Stimmung in Treuburg ist historisch belegt, während die gesamte Geschichte in Treuburg fiktional ist. Kritisierte ich in den vergangenen Bänden oft Kutschers Fokus auf Charlys und Gereons turbulente Beziehung, so hat mir ›Die Akte Vaterland‹ in der Hinsicht sehr viel besser gefallen. Das mag daran liegen, dass beide den größten Teil des Buches örtlich getrennt sind, es tut dem Buch jedenfalls gut. Insgesamt ist ›Die Akte Vaterland‹ für mich der bisher ausgewogenste Band der Reihe. Den Mix aus Fall, politischem und gesellschaftlichem Hintergrund und der Rahmenhandlung der Charaktere hat Kutscher für mich sehr gut getroffen – besser als in allen anderen Bänden bisher. Auch für die Hintergründe der einzelnen Figuren bleibt da ein ausgeglichenerer Raum. Der Fall an sich ist gewohnt verstrickt und spannend konstruiert. ›Die Akte Vaterland‹ gefällt mir bisher am besten. Der Band ist spannend, unterhaltsam, hinsichtlich der historischen Entwicklungen und Ereignisse lehrreich und insgesamt sehr ausgewogen. Als Teil der Reihe aber auch als Einzelbuch sehr unterhaltsam.