Mario Keipert
In seinen Kurzgeschichten beschreibt Clemens J. Setz Menschen, in deren Haut man in aller Regel nicht stecken möchte, Situationen, die niemand freiwillig durchlebt. Das Paradox-Absurde Franz Kafkas trifft auf das Surreal-Alptraumhafte David Lynchs – die Geschichte von dessen Erstling Eraserhead würde sich nahtlos in die 20 Kurzgeschichten einreihen, die Der Trost runder Dinge enthält. Setz kostet die Freiheit gnadenlos aus, die die knappe, konzentrierte Form der Kurzgeschichte ihm bietet. Meist aus Sicht eines Protagonisten entfaltet er auf engem Raum ein beklemmendes Szenario ums nächste. Wobei die Beklemmung vor allem daher rührt, dass jede Geschichte eine ihr immanente Logik entwickelt, die nicht begründet, nicht erklärt wird. Der Kern einer jeden Geschichte bleibt oft im Dunkeln – eine Auflösung ist Setz oder einer seiner zahlreichen Erzähler dem Leser nicht schuldig. Wie selbstverständlich erzählt hier jeder seine Geschichte, hat jeder seine Wahrheit. Man “kennt” ja den ein oder anderen merkwürdigen Nachbarn, die schiefen Blicke eines Passanten, den schrulligen Lehrer. In Zeiten von Social Media sind schnell Gerüchte im Umlauf und Meinungen gehen viral. Die Arbeit, sich in die Lage des Anderen zu versetzen, noch dazu in die eines “Täters” oder von jemandem, der in irgendeiner Weise “schuldig” wird, macht sich kaum noch einer. Doch Setz ist nicht nur irre gut darin, den Verschrobenheiten seiner vermeintlich ebenso irren “Helden” nachzugehen – er folgt ihnen in die tiefsten Windungen ihrer Hirne und blickt auf die Welt mit der größtmöglichen subjektiven Verzerrrung. Nicht auf die Menschen blickt er, sondern durch deren Brille auf eine gespenstisch unheimlich Welt, die keine verlässliche Ordnung, kein Zuhause bietet. So sind die Menschen in diesen komisch traurigen Geschichten des Clemens J. Setz: unfertig und hilfebedürftig, begierig nach Trost und voller Sehnsucht nach einer Hand, die sie durch den Nebel des Wahrgenommenen zu berühren vermag.