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hundertmorgenwald

Posted on 6.9.2019

Das Buch „Als wir unsterblich waren“ spielt in zwei Zeitebenen. Die eine fängt 1912 an und handelt von der jungen Paula und ihren Freunden. Von Liebe und der Lust auf Leben. Von tiefster Freundschaft und verletzten Seelen. Aber auch von den Anfängen der SPD, dem ersten Weltkrieg und den Schützengräben. Von der Revolution und dem Abdanken des Kaisers. Es erzählt von der linken Abspaltung der SPD, dem Spartakusbund, dem auch Rosa Luxemburg angehörte. Von Hunger und Wirtschaftskrise bis hin zur Wahl Hitlers als Reichskanzler. Die zweite Zeitebene spielt 1989. Paula ist nun über 90 und lebt mit ihrer Enkelin Alexandra in Ost-Berlin. Am Tag des Mauerfalls lernt Alexandra den gleichaltrigen Oliver kennen und verliebt sich sehr in ihn. Doch als Alex Oliver ihrer Großmutter vorstellen will, bekommt diese einen Nervenzusammenbruch und landet mit einem Herzinfarkt in der Klinik. Olivers Aussehen und sein Name haben in Paula gut zugemauerte Türen aufgebrochen und sie wird von altem Schmerz überrollt. Nun ist es an Alex, ihrer Großmutter zu helfen und damit auch sich selber. Reflexion : Mich hat das Buch unglaublich berührt. Da war einmal diese Hoffnung und Lebenslust von Paula und ihren Freunden. Die auf die Straße gingen und dagegen demonstrierten, das Deutschland in den Krieg ziehen sollte. „Wir sind so viele! Uns kann keiner mehr niederwalzen und gegen unseren Willen kann auch kein Kaiser einen Krieg beginnen.“ Und beim Lesen zu wissen, was den jungen Menschen noch bevor stand, war sehr schmerzlich. Sicher auch, weil ich dabei immer wieder an meine eigene Oma denken musste. Sehr spannend fand ich die Anfänge der SPD mitzuerleben. Der Spagat zwischen den Idealen, die man sich wünscht und der machtpolitischen Realität, wenn man denn dann wirklich in der Regierung sitzt. Von der linken Abspaltung, dem Spartakusbund und auch von der Revolution, die den Krieg beendet hat, wusste ich nichts. Charlotte Roth schreibt das alles in einer Intensität, so dass ich mich vor dem kaiserlichem Schloss in Berlin wähnte und mit Paula litt und mich freute. Paula setzte sich auch für die Rechte der Frauen ein und schuf quasi die ersten Frauenhäuser. „Als wir unsterblich waren“ ist das Zeugnis eines Jahrhunderts. Von diesem weltoffenen Berlin in den 20zigern, wo es keinem etwas ausmachte, wenn Frauen unverheiratet waren oder sich gleichgeschlechtliche Paare liebten. Bis die Nazis kamen. Ich finde es bitter, wenn ich daran denke, wie dann die Rolle der Frau in den 50zigern aussah. „Und ich glaube, in dieser kurzen Zeit sah die Welt auf Berlin und beneidete uns. Wir waren die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir hatten Brecht und die Dietrich, Einstein und das 6-Tage Rennen. Fritz Langs Filme, den Wintergarten und die Weltbühne, Nacktbadestrände, Kleider ohne Taillen und verrauchte Nächte im romanischen Café.“ Es ist aber auch die Geschichte der unterschiedlichsten Charaktere. In der Vergangenheit finde ich alle Personen durchgehend gut gezeichnet. Ich mochte sie fast alle sehr gern und es fiel mir schwer, sie am Ende los zulassen. Alex in der Gegenwart blieb für mich blass, aber das störte nicht weiter, denn sie war nur ein kleiner Spielball in der Geschichte, um das Große und Ganze zu begreifen. Das, was man erst erfassen kann, wenn jemand fast ein Jahrhundert alt ist. Wenn man betrachtet, was all die Erlebnisse nicht nur mit der ersten Generation (Paula und ihre Freunde) machten, sondern wie sich ihr Leid aus zwei Kriegen und vielen Krisen auf ihre Kinder und deren Kindeskinder auswirkte. Wenn man erfasst, dass es ein Teil der eigenen Geschichte ist. Fazit: Eine äußerst berührende Geschichte über junge Menschen, denen es nicht vergönnt war, einfach nur ihr Leben zu leben. Eine Geschichte, die auch ein Teil unserer Geschichte ist.

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