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Mario Keipert

Posted on 30.8.2019

Simenon als Urlaubslektüre? Das klingt gut. Seine Ferien verbringt Monsieur Mahé ein erstes Mal auf der sonnigen Mittelmeerinsel Porquerolles. Kann da etwas schief gehen? “Bei Simenon genießt niemand seine Ferien”, weiß Graeme Macrae Burnet in seinem Nachwort zur Neuveröffentlichung von Die Ferien des Monsieur Mahé im Kampa-Verlag. Das fängt schon mit dem frustrierenden Angeln im ersten Kapitel an. Anders als der Einheimische bleibt Mahé, der übergewichtige Arzt, gerade Mitte 30, erfolglos. Zum Glück (?) wird er zu einem Notfall gerufen: einer sterbenden Frau, die bei seinem Eintreffen schon tot ist. Im Hintergrund ihre Tochter in einem roten Kleid, die zunehmend zur fixen Idee des in Nordfrankreich lebenden Mahé wird. Die Szene ist der Auftakt zu einem Roman, in dem vordergründig nicht allzu viel passiert. Das Welt des Arztes aber hat fortan einen Sprung, einen Riss, der sich zunehmend vertieft und Mahé aus seiner als “Gefängnis” erlebten Existenz heraus katapultiert. Seine Frau, seine Familie, sein Beruf: all das erlebt er als fremd, sich selbst als fremdbestimmt. Und doch ist da ein unbändiges Verlangen nach Veränderung ... Mahé ist gefangen im “Kreis der Mahés” (der französische Originaltitel des Romans ist Le Cercle des Mahé) und gerät, wie so viele Protagonisten bei Georges Simenon auf eine Umlaufbahn, die ihn aus dem Gewohnten hinaus in die Einsamkeit der eigenen unproduktiven Gedanken katapultiert. Mahé wird, seine Familie im Schlepptau, auch die folgenden Jahre auf die Insel zurückkehren, immer wieder auf der Suche nach dem Mädchen im roten Kleid. “Es war eine Heimsuchung”, so heißt es. Der karge, spannungsarme Roman schildert den Versuch, dieser Heimsuchung habhaft zu werden, die vage Frage gefasst zu bekommen, die das gewohnte Leben auf den Kopf stellt. Es handelt sich um den hilflosen Versuch eines in seinem Unglück gefangenen Menschen, sein aus den Fugen geratenes Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Sonne, die Hitze, der Tod: die Parallelen zu Der Fremde von Albert Camus sind nicht zu übersehen. Bisher, konnte man fast sagen, hatten immer die anderen für ihn gelebt. ... Da saß er nun mit seinen fünfunddreißig Jahren ... mit Frau und zwei Kindern in einem völlig vorgezeichneten Leben, dessen Ablauf für jeden Tag der Woche feststand. Er bewegte sich in den vorgezeichneten Bahnen, weil er keine andere Möglichkeit sah, weil er sich weigerte, sich andere Möglichkeiten vorzustellen. Er bewegte sich in seiner für ihn zurechtgeschneiderten Welt wie in einem zu großen Anzug. Urlaub: das Ausbrechen aus dem Gewohnten. Doch was, wenn das Ungewohnte in seiner irrationalen Macht so anziehend und erschütternd ist, dass man kein Verhältnis mehr zu der gewohnten Welt findet? Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Nein: bei Simenon genießt man nicht seine Ferien. Es sei denn als Leser.

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