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drwarthrop

Posted on 19.8.2019

Feminismus. Ein Wort, viele Bedeutungen. Für die einen gilt es als rotes Tuch der Ungewissheit, dass es möglichst zu umgehen und mit skeptischem Blick zu beobachten gilt. Für die anderen bedeutet der Begriff Selbstbestimmung, Akzeptanz und Freiheit. Aber warum löst so ein kleines Wort so einen Sturm der Empörung bei jeder noch so kleinen Äußerung aus? Dieser und weiteren wichtigen feministischen Fragen geht Margarete Stokowski in ihrem Debüt auf den Grund. In unverwechselbarer empathischer und offener Diktion leitet das Buch, angereichert mit persönlichen Anekdoten durch den Reifeprozess eines jungen Mädchens immer in Hinblick auf geschlechterspezifische Einflüsse und den jeweiligen Entwicklungen. Dabei zeichnet die Autorin kein anklagendes Bild maskuliner Egozentrik (wie Feministinnen gerne von Kritikern vorgeworfen wird), sondern bietet ein facettenreiches, ambivalentes Spektrum existierender Geschlechterdiskriminierung, deren Ursprung meist kaum noch zu ermitteln, aber weiterhin vehement zu bekämpfen ist. Gerade die Prägung unserer sexuellen Ideale durch redundante Erotisierung der öffentlichen Medien und Werbung, sowie deren radikal-rückschrittigen Aussagen erzeugen eine tiefe gesellschaftliche Kluft, die brillant präsent von Stokowski eingefangen wird. Trotz oder gerade wegen der komplexen Thematik sind Passagen von Selbstkritik und Zweifel durchzogen, womit die Entwicklung empathischer zu Tage tritt und Kritiker leichter sympathisieren könnten. Diese artet zu keinem Moment in ein „Regret-Festival“ aus und zeigt deutlich, dass die Grenzen oft nicht so leicht zu erkennen sind, wie es den Anschein erweckt. Belegt werden die vielfältigen Argumente stets durch präzise Quellenangaben (insgesamt über 120 Stück) und unterlegt von wortgenauen Zitaten, wodurch diese wirksam, ehrlich und akkurat wirken und selten den Anschein gewollter Meinungsmache entstehen lassen. Fragwürdige Gegenüberstellungen oder unverhältnismäßige Diffamierung treten verschwindend gering zu Tage, was für ein Sachbuch mit solch ambivalenter Thematik eine Seltenheit ist. Ich möchte der Autorin an dieser Stelle natürlich keine fehlende Prägnanz oder Radikalität vorwerfen, die durchaus vorhanden sind und dem Buch einen ironisch passenden Ton verpassen. „Untenrum frei“ ist eins der wichtigsten, feministischen Werke unserer Zeit. Es vereint die weiterhin unangenehme Egozentrik einiger Geschlechtsvertreter, die fragwürdigen Aufklärungsmethoden der Jugend und die allgemein herrschende Verklemmung unserer ach-so-offenen Gesellschaft, die zwar die Webadressen jeder Erotikwebsite auswendig kann, aber nicht mit BH-losen Brüsten oder behaarten Frauen-Achseln zurechtkommt. Selten gibt es Bücher, die es schaffen ein komplexes Thema in nicht einmal 250 Seiten in einem fulminanten, persönlichen und investigativen Rahmen zu präsentieren. Dieses hier ist so eins; absolute Empfehlung!

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