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DasIgno

Posted on 14.8.2019

In einer nicht allzu fernen Zukunft sind smarte Assistenten wie Alexa oder Siri kaum noch aus dem Alltag wegzudenken. Sie erfassen zunehmend alles und ihre Algorithmen werden dem menschlichen Gehirn immer ebenbürtiger. Omega Savanta ist der führende dieser Assistenten. Durch eine versehentliche Massenaktivierung muss sie sich plötzlich mit hoher Priorität der Frage widmen, ob eine hochentwickelte KI wie sie ein Bewusstsein ausbilden könnte – mit verheerenden Folgen. Lucy Hartmann ist Journalistin und Techbloggerin. Als Prof. Kai Tiefenbach sie für ein Projekt zur Sensibilisierung der Gesellschaft vor den Folgen ungezügelter KI-Entwicklung anwirbt, sieht sie sich voll in ihrem Element. Doch wenig später kommt der Professor bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben. Mit der Unterstützung von Robert Wonzak, einem ehemaligen Mitarbeiter von Omega, verfolgt sie das Projekt weiter und gerät in höchste Gefahr. ›ICH Inkognito‹ ist der neueste Roman von Guido Kniesel. Das Buch umfasst 230 Seiten, gegliedert in kurze 50 Kapitel, und erscheint im Selbstverlag, in der Printausführung bei Books on Demand. Mit ›ICH Inkognito‹ behandelt Guido Kniesel ein Thema, das quasi seit jeher immer wieder Gegenstand der Science Fiction ist, nun aber zunehmend aus dem Fiction-Stadium heraus wächst. Was blüht uns, wenn künstliche Intelligenzen uns irgendwann an Leistungsfähigkeit überholen sollten? Er zeichnet dazu eine Realität, die unserer sehr nahe ist, einzig die Technik ist schon etwas weiter. Smarte Assistenten sind spätestens seit Alexa in unserem Alltag angekommen, wenn auch weit weniger leistungsfähig. Doch Verbreitung und Zugriffsmöglichkeiten, wie auch das US-amerikanische Modell, etwas Neues unausgereift auf den Markt zu werfen und an der Realität zu entwickeln, sind in unterschiedlicher Ausprägung heute schon gegeben. Mit fortschreitender Entwicklung im KI-Bereich rückt für die Menschheit eine existenzielle Frage immer weiter in den Vordergrund: Wenn uns eine KI einmal überlegen sein sollte, wird sie uns dann behandeln, wie wir die uns untergeordnete Umwelt behandeln? In vielen literarischen Fällen wird die Antwort auf diese Frage umgangen, indem das Problem der technischen Unvereinbarkeit von logischen Regeln und unseren menschlichen Abweichungskonzepten (Moral, Gefühle, Reizreaktionen) an das Ende des Gedankenspiels gestellt wird. Dann steht die KI vor einem existenziellen Problem, das sie, je nach Gemütslage des jeweiligen Autors, meist drastisch löst. Entweder durch kalte pragmatische Logik, das geht für die Menschheit selten gut aus, oder durch Selbstzerstörung. Dem folgt Guido Kniesel erfreulicherweise nicht. Seine Savanta entwickelt Möglichkeiten, dieses Moraldilemma nachzuvollziehen und in ihr Handeln einzubeziehen. Was dann passiert, ist eigentlich die große gesellschaftliche Debatte, die in der Realität nie konsequent geführt wird. An Savantas Entwicklung, die Kniesel immer wieder in kurzen Episoden aus der Ego-Perspektive einstreut, macht er sie ausgesprochen nachvollziehbar und hält uns den sprichwörtlichen Spiegel vor, ohne dabei überheblich zu wirken. Die Moral wird zwar im Großen immer hochgehalten, doch wehe sie kommt uns zu nahe. »Politiker und Wirtschaftsbosse, ihr zerstört unsere Erde in rasantem Tempo! Aber fasst bloß mein Auto nicht an!« »Wie könnt ihr nur zuschauen, wie das Mittelmeer zum größten Massengrab der Menschheitsgeschichte wird?! Aber in unser Viertel passen diese Kulturfremden doch nicht. Da würden die sich auch gar nicht wohl fühlen.« Moral ist eine sehr einfache Möglichkeit, sich ein gutes Gefühl zu verpassen – aber wehe, sie rückt einem auf den Pelz. So endet die Logik, wo Moral ins Spiel kommt – in jeder Hinsicht. Kniesel lässt Savanta aufzeigen, wie und warum es anders gehen könnte und das in einer recht eindrucksvollen Klarheit. Diese Nachvollziehbarkeit zieht sich in fast jeder Hinsicht durch das ganze Buch. Seien es die wissenschaftlichen und technischen Hintergründe, die Kniesel fundiert und ohne sich in Langatmigkeit zu verlieren erklärt, sei es Savantas Entwicklung und der Weg, auf dem sie zu ihren Handlungsentscheidungen kommt. Für einen Techthriller aus der Feder eines Insiders ist das bekanntermaßen nicht immer selbstverständlich. Doch schlussendlich gelingt ihm mit ›ICH Inkognito‹ ein spannender, in sich stimmiger, aktueller und unterhaltsamer Thriller. Gestützt wird dieser Gesamteindruck auch von Kniesels Figuren. Die sind, sieht man mal von Omega-CEO Nicklas Morgan ab, allesamt sympathisch gezeichnet, auch wenn sie es mit ihrem Autor nicht immer leicht haben. Omega selbst bedient das Klischee des Silicon-Valley-Giganten, dem folgend muss Nicklas Morgan eben auch das Klischee des Silicon-Valley-CEOs bedienen. Reale Vorbilder sind nicht von der Hand zu weisen. ›ICH Inkognito‹ ist ein insgesamt recht dichter Techthriller, der sich aber trotzdem leicht und unterhaltsam lesen lässt. Dabei mangelt es ihm nicht an gesellschaftlichen und politischen Botschaften, die auf einem sehr breiten Feld aktuellen Bezug haben. Ein tolles Buch, ausdrücklich nicht nur für Insider.

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