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TiniDo

Posted on 10.8.2019

Ein Gegenwartsroman, bei dem „dieses Internet“ & das Digitale nicht als Marker für „Gegenwart / sehr gegenwärtiger Gegenwartsroman!“ verwendet, sondern realistisch erzählt werden, als Elemente, Strukturen, Techniken, die einfach Teil der Welt und des Lebens von Leuten sind. Die Start-up-Firma als Setting & Codes- & Prozess Management-Handbuch-Schnipsel als Epigraphe kann einem anfangs bisschen gewollt & billig gesellschaftskritisch vorkommen, aber das sind nur die eigenen Vorurteile. Nach 3, 4 Seiten ist ziemlich klar, dass Berit Glanz Kreativindustrie als Bewusstseins- & gesellschaftliche Organisationsform ganz unironisch ganz ernst nimmt als das, was sie ist: die Realität, unsere natürliche Umgebung - und dass das auch eine Geschichte hat: So kommen die Maskentänzer Lavinia Schulz & Walter Holt ins Spiel. Ins Spiel gebracht werden sie durch die schlaue Digitalisierung des alten Erzähltricks von romantischen & post-modernen Romanen: der Zufall, in Form einer App, würfelt der Ich-Erzählerin eine geheimnisvolle Figur zu & sie nimmt die Chance auf eine Flucht o. Entdeckungsreise in eine andere Welt an. „Früher“ hätte die Heldin den Faden, der sie in das Labyrinth vergangener Leben echter historischer Figuren führen wird, in einem alten Buch gefunden - oder auf dem Dachboden eines Museums, wie es mit dem Nachlass von Schulz & Holt tatsächlich geschehen ist. Auch wieder so ein lässiger Erzähl-Move der Autorin, die in ihrem Roman ganze Bibliotheken zu Theorien von Fiktionalität & Faktizität, Geschichte & Realität als Konstruktion, der Kunst (im Pixeltänzer steckt eine interessante Kritik an Autonomie-Theorien & ihrer Verbindung zur Produktifizierung von allem & jeden drin) & natürlich Medientheorie in die spannende Geschichte einer Schnitzeljagd durch das große Menschheitsarchiv Internet verwandelt, auf der Beta & Freund*innen Fragen nach Identität, den sich neu sortierenden Demarkationslinien zwischen „dem richtigen Leben“ & der postulierten Irrealität des Digitalen nicht als theoretische Spielchen, sondern als eigene Lebenspraxis verhandeln. Aber keine Angst: Wen das alles nicht interessiert, liest hier eine spannende Geschichte über Leute auf der Suche nach dem heiligen Gral, die entdecken, das der Gral, selbst als Anti-Gral, nicht die Lösung des Problems ist. Sondern das gemeinsame Weiter-Basteln an Alltagspraxen, die einem selbst & anderen ein bisschen mehr Handlungsfreiheiten in den modernen Kontrollgesellschaften ermöglichen.

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