auserlesenes
Schon seit ihrer Geburt lebt die 14-jährige Pearl mit ihrer Mutter Margot France in einem Auto, einem Ford Mercury. Er steht am Rande eines Trailerparks, nahe einer giftigen Müllkippe und einem Fluss mit Alligatoren, in Florida. Eigentlich wollte Margot, die als Teenager von einem Lehrer geschwängert wurde, dort nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Mit 16 Jahren ist sie aus ihrem reichen, aber kalten Elternhaus mit dem heimlich geborenen Baby ausgerissen. Aber das Provisorium ist zum Dauerzustand geworden. Während Margot im Inneren des Wagens ihre Tochter das Träumen lehrt, herrscht draußen die brutale Realität. Die Welt der Waffen wird immer präsenter. Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Eli Redmond auftaucht und Margot den Kopf verdreht. Auch er ist der Macht der Schusswaffen verfallen… „Gun Love“ ist ein aufwühlender Roman von Jennifer Clement. Meine Meinung: Der Roman besteht aus drei Teilen mit insgesamt 42 Kapiteln. Erzählt wird chronologisch in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Pearl. Dieser Aufbau funktioniert gut. Der oftmals sehr poetisch anmutende Schreibstil ist besonders und eine der großen Stärken des Romans. Immer wieder beweist die Autorin ihre Sprachgewalt. Starke, eindringliche Bilder und treffende Metaphern transportieren die Atmosphäre sehr gut. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen vor allem Pearl und ihre Mutter Margot. Die beiden stellen reizvolle Charaktere dar, die schnell mein Mitgefühl hatten. Ihr Schicksal konnte mich berühren. Auch viele der Nebenfiguren finde ich interessant. Die Charaktere des Romans sind zum Teil etwas überzeichnet, was meinen Lesegenuss jedoch nicht geschmälert hat. Ein großer Pluspunkt ist die gesellschaftskritische Komponente des Romans. Die Waffenversessenheit vieler US-Amerikaner und der illegale Handel mit diesen Todesbringern werden schonungslos beleuchtet. Dieses Thema regt zum Nachdenken an. Welche negativen Konsequenzen eine waffenfreundliche Gesetzgebung haben kann und welcher Irrsinn mit Waffen betrieben wird, wird in der Geschichte eindrucksvoll dargestellt. Dieser knallharten Realität, der Pearl und Margot durch ihre Quasi-Obdachlosigkeit ausgesetzt sind, werden das romantisch-verklärte Denken und die Träumereien der Mutter entgegengestellt, was einen schönen Kontrast erzeugt. Allerdings triftet der Roman stellenweise etwas ins Kitschige ab. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht. Sie nimmt nur langsam Fahrt auf, was mich aber nicht gestört hat. In der zweiten Hälfte wird das Geschehen zunehmend dramatischer. Jedoch fällt der Roman dann leider ein wenig ab. Ich habe die Geschichte als Hörbuch in der ungekürzten Ausgabe gehört. Es wird von Edith Stehfest gesprochen, die mit einer kindlich-verträumten Stimme gut zum Inhalt des Romans passt. Das deutsche Cover weicht deutlich vom Original ab, passt aber inhaltlich ebenfalls. Der treffende, prägnante Titel wurde aus dem Amerikanischen übernommen. Mein Fazit: „Gun Love“ von Jennifer Clement ist ein Roman, der durch seine aktuelle Thematik eine empfehlenswerte Lektüre ist. Eine Geschichte, die eine Weile nachhallt.