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Veit N

Posted on 14.7.2019

Intro: Jede Space Opera braucht gewisse Zutaten: Raumschiffe, verschiedene Planeten und Spezies, am besten auch einen Charakter mit einem Mindestmaß an Heldenmut, ein bisschen Technik-Nerdness, natürlich eine spannende Dramaturgie und wenigstens eine Prise Humor. Vorweg: Das meiste davon hat Becky Chambers mit „Der lange Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten“ in petto! Das Setting: Die Wayfarer von Captain Ashby Santoso ist ein Tunnelerschiff. Ihr Job ist es, den Raum zu tunneln, indem es die Raumstruktur aufbricht und so künstlich Wurmlöcher erschafft. So wird es möglich, in kurzer Zeit riesige Distanzen im Raum zu überwinden. Praktisch für die Galaktische Union, kurz GU, der seit einiger Zeit auch die menschliche Spezies angehört. Neben diesen gibt es Harmagianer, Äluoner, Aandrisks, Quelin und was das Space Opera-Herz sonst noch so begehrt. Das erste Highlight der Geschichte ist das Kennenlernen der Wayfarer-Crew. Rosemary Harper, neues Crew-Mitglied und mehr oder minder Protagonistin in „Der lange Weg…“, trifft deren Mitglieder nach und nach an ihrem ersten Arbeitstag auf der Wayfarer. Unfassbar gelungen finde ich diese Einführung. Die Sympathie, die unter (dem Großteil) der Truppe herrscht springt einen innerhalb weniger Seiten an und steigert sich quasi durch das erste Drittel der Geschichte. In vielen Szenen will man einfach auch gerne selber dabei sein: „Aber inzwischen sterbe ich vor Hunger. Wonach ist Euch denn zumute? Nudeln? Fleischspieße? Eis? Wir sind erwachsen. Wenn wir wollen können wir zu Mittag Eis essen!“ Wir lernen die Charaktere und ihre Spezies kennen. Sehr spannend sind hier die Aandrisks, gefiederte Reptilien mit durchaus offenen, traditionellen Zärtlichkeitstendenzen. Aber auch die Sianat, eine in Symbiose mit einem „Flüsterer“, einem Virus, lebende Art sind originell ausgearbeitet. „Die“ Sianat sehen sich nämlich entsprechend als Paar und dürfen auch nur im Plural angesprochen werden. Alles andere wäre eine Beleidigung… Insgesamt entdeckt Rosemary an ihren ersten Tagen auf der Wayfarer die Dynamik innerhalb dieser Crew, und eine ausgesprochene Herzlichkeit unter den meisten ihrer Mitglieder („Alle waren zu sehr damit beschäftigt, Essen in sich hineinzuschaufeln, Dr. Koch für seine Kochkünste zu loben und über Witze zu lachen, die Rosemary nicht verstand.“). Wer würde sich dieser sympathischen Runde nicht gerne anschließen…?! Inhaltlich passiert zunächst gar nicht viel. Der Fokus liegt auf der Crew und lässt Rosemary’s Vergangenheit dabei etwas im Nebel. Jegliche Schnipsel werden schnell abgewürgt… Nach einigen Hopsern zwischen verschiedenen Planeten, Stationen und kleineren Aufträgen wird’s ernst: Ashby bekommt einen schwierigen, langen, aber lukrativen Auftrag rein. Ein, so klingt es, kleiner, zorniger Planet, (bzw. seine Bevölkerung, die Toremi), soll mittels Tunnel an die GU angebunden werden. Auf geht’s, dachte ich mir als Leser, nun kommt auch die Geschichte selbst in Fahrt! Jedoch müssen vorher noch einiger Besorgungen gemacht und Vorbereitungen getroffen werden. Klar… Diese sind, spannend, unterhaltsam und originell!!! Verschleppen aber auch etwas den Fortgang der Dramaturgie. Viel weiter will ich nicht spoilern. Die Toremi und ihren kleinen Planeten lernen wir auch noch kennen und der werthaltige Auftrag für die Wayfarer wird auch noch konkret angegangen, keine Sorge… Themen: Was diese Geschichte, trotz schleppender Dramaturgie aber doch so lesenswert macht sind die vielen gesellschaftskritischen Winke mit den Zaunpfählen. Wie leben wir als „Menschen“ unterschiedlicher kultureller Prägung zusammen (wunderbar die Beschreibung verschiedener Spezies: „Harmagianer hatten Geld. Äluoner hatten Feuerwaffen. Aandrisks besaßen diplomatische Fähigkeiten. Menschen hatten Streit.“). Was kommt mit dem technischen Fortschritt sozial auf uns zu? Z.B. wenn sich Menschen in KIs verlieben? Wie weit dürfen wir über die Lebensumstände Anderer bestimmen, z.B. im Fall von Suchtkrankheiten? Wie gehen Gesellschaften mit gesundheitlichen Handicaps oder Gentechnik um? Toleranz; Menschenrechte; Rohstoffpolitik; Oder auch Vor- und Nachteile von Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit (hier technisch machbar, aber aus schlüssigen Gründen sehr unattraktiv). Becky Chambers bindet all diese Themen geschickt in die Vorstellung ihrer Charaktere und ihres Universums ein. Darunter leidet etwas die Dramaturgie, aber wer sich in diesen Diskursen wiederfindet, wird sehr gut unterhalten! Stil: Becky Chambers schreibt, ich finde das trifft’s am besten, „locker-flockig“. Der Text liest sich „so weg“. Nichts ist holprig, man muss Sätze nicht neu anfangen etc. gar nichts! Hier haben Autorin und Lektor/innen ganze Arbeit geleistet! Die Dialoge sind unterhaltsam, die Charaktere sind konsequent und farbenfroh ausgearbeitet. „Menschlich“ möchte man sagen (und hadert doch kurz mit der Formulierung ;) ). Immer wieder hält Chambers den Leser und die Leserin mit kleinen Skurrilitäten im gewünschten Universum („Freundschaftlich schabte sie mit ihren Krallen über sein Knie“; oder Mechanikerin Kizzy, die ihren Hilfsrobotern Wollmützen strickt…). Humorvoll, actiongeladen, nachdenklich, gesellschaftskritisch, liebevoll… All das ist der Stil; all das ist dieses Buch! Fazit: Und so ist „Der lange Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten“ ein kleines bisschen mehr als eine gelungene Ouvertüre zu einer Space Opera. Einziger Kritikpunkt ist die doch recht dünne „echte Geschichte“ neben dieser Einführung in das Wayfarer-Universum. Aber so fungiert diese vielleicht als Cliffhanger für die ein oder andere spannende, unterhaltsame, gesellschaftskritische Geschichte, die den oder die Leser/in erwarten könnte! Ich bin jedenfalls gespannt!

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