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gwyn

Posted on 25.6.2019

»Wenn ich dieses großartige Buch durchblättere, werde ich herrlich bestätigt: Frauen, die lesen wollen, lesen überall.« Schreibt Elke Heidenreich im Vorwort. Eine lesende Frau hatte schon immer Anziehungskraft für Maler. Dieses Buch ist illustriert mit bekannten Gemälden von Rupert Bunny, Charles Edward Perugini, Mary Cassatt, Lovis Corinth, Vincent van Gogh, Ernst Ludwig Kirchner, Henri Lebasque, August Macke, Edouard Manet, Henri Matisse, Berthe Morisot, E. Philips Fox, Johan Krouthén, Laura Knight, Laurits Andersen, Dod Procter, Harriet Backer, John Singer Sargent, Joaquin Sorolla, Suzanne Valadon und vielen anderen. Es handelt sich ausschließlich um ältere Werke, Ölbilder. Hier frage ich die Autorin, wie sie zu dieser Auswahl kam. Das wird leider nicht angesprochen. Das einzige moderne Bild ist von Ernst Ludwig Kirchner. Es führt zu der Frage, ob lesende Frauen in der Moderne auf Gemälden nicht mehr zu finden sind? Fernando Botero fällt mir ein, William Roberts, Françoise Collandre, der von mir verehrte Denis, und von Picasso gibt es ein schönes kubistisches Bild – es gibt jede Menge. Aber gut, die Auswahl ist, wie sie ist: verstaubt. »Die lesenden Frauen in diesem Buch wurden allesamt vom Maler geradezu überrascht, er hat sie erwischt in einem besonderen Moment, in dem sie ganz bei sich selbst waren. Es sind sehr intime, private Bilder, die so entstehen.« »Lesen Sie auch elektronisch?‹, werde ich immer wieder gefragt. In diesem Buch sieht man keine Lesende am Laptop …« Ich musste herzlich lachen. Die Bilder hier sind meist 200 Jahre alt und älter, ein paar haben um die 100 auf dem Buckel. Komisch – und da hat keine hat den Laptop dabei oder ein E-Book? Und sie wurden alle in einem Moment erwischt ... Das sind Ölbilder, liebe Autorin, keine Fotos. Es braucht eine Weile, um eine Skizze aufzunehmen und noch viel länger, um ein Ölbild zu malen – Tage! Hier ist niemand erwischt worden! Öl-Portrais sind Inszenierungen, gestellt. Die Frau am Meer steht natürlich nicht Tage auf dem Fleck am Strand, sondern im Atelier, der Natur-Hintergrund war bereits vorher angefertigt. Es wird hier behauptet, lesende Männer gäbe es nicht auf Gemälden: »… sonst sähen wir auch Laptops und Aktenordner auf Büroschreitischen. Mann in Hängematte, auf Wiese, Mäuerchen und Récamière – schwer vorstellbar.« Hier kennt sich jemand mit Kunst so gar nicht aus! Vielleicht gibt es mehr lesende Frauen, die porträtiert wurden, aber mir fallen gleich jede Menge Gemälde mit lesenden Männern ein - seit es Malerei und Bücher gibt – bis in die Moderne. Entspannte Männer auf Sesseln, Sofas, im Bett, auf der Wiese im Gartenstuhl ... keine Aktenordner. Auf der einen Seite wird hier giftig, feministisch ausgeteilt, den Männern etwas unterstellt, auf der anderen Seite wirkt das Buch so brav und bieder in seinen Bildern, die nette Weibchen darstellen und auch die Texte sind entsprechend. Wo bleibt hier der Zusammenhang der lesenden Frau mit der anfangs feministischen Stimme? Das ist für mich ein Widerspruch schlechthin. »Traurig wirkt der Blick der jungen Frau, die bei Jane Paterson an einem Bistrotisch sitzt. Sie ist sehr hübsch mit ihren großen dunklen Augen, der schwarze Hut mit der keinen Rose am roten Hutrand steht ihr vorzüglich, die Ohrringe verraten Stil. Aber warum sind die Wangen der Frau so auffällig gerötet? Ist es ihr so unangenehm, allein an diesem weißgedeckten Tisch zu sitzen? Vor ihr liegt ein kleines Buch.« Und so wird weiter das Bild beschrieben, spekuliert, anhand der zwei Flaschen auf dem Tisch, mit wohl Hochprozentigem gefüllt - ich sehe allerdings eine Weinflasche … es wird vermutet, die Frau säße allein am Tisch. Vielleicht sitzt doch jemand neben ihr, ihr gegenüber? Weiter wird vermutet, dass sie Sorgen hätte, die wohl finanziell seien, sie Alkoholikerin sei – und zu guter Letzt stellt die Autorin die Frage, ob sie zu denen gehöre, die: »… verzweifelt auf einen Herren warten, die ihnen das Abendessen zahlen.« So viel Vermutung in Bilder zu setzen, empfinde ich als grotesk. Ich war gespannt auf dieses Buch. Aber was hatte ich erwartet? Essays, Gedichte, spannende Texte – keine Ahnung. Was ich nicht erwartet hatte, waren uralte Bilder, die nun ausführlich von der Autorin beschrieben und interpretiert werden. Bzw. die Autorin beschreibt ein Bild, benennt die Frau, die darauf zu sehen ist, wie z.B. Madame Récamier (1777-1849) und erzählt ein wenig über deren Leben. Interessanterweise werden seit dem späten Mittelalter lesende Frauen im Bild festgehalten. Selbst Maria Magdalena und andere Heilige werden beim Lesen von religiösen Schriften dargestellt, als Zeichen der Reinheit. Andererseits sind lesende Frauen gefährlich. Zu viel Wissen bedeutet Macht. Wer zu viel denkt, sich mit neuen Ideen befasst, könnte widerspenstig werden. Und es scheint auch Tatsache zu sein, dass die Gattung Fiction, Roman, sich ohne Frauen sich nie etabliert hätte. Frauen kaufen nicht nur Bücher – sie lesen sie auch - und zwar so ziemlich alles, was der Markt hergibt. Und eins dürfen wir nicht vergessen: Die Emanzipation der Frau ist mit der Alphabetisierung verbunden. Das Privileg der lesenden Frau war vor gar nicht allzulanger Zeit mit ihrem gesellschaftlichen Stand verknüpft. Der Zugang zu Bildung und Büchern war nur wohlhabenden Leuten vorbehalten, ein ganz geringer Anteil in der Bevölkerung. Bücher kosteten viel Geld, bis zur Erfindung des Buchdrucks ein Vermögen. Und das drücken auch diese Bilder aus: betuchte Damen. Von daher konnte ich mit diesem Buch nichts anfangen. Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug. Das wird hier nirgendwo ausgedrückt. Der ganze Band steckt voll Entspannung. Mir fehlen die provokanten Bilder. Ich glaube, von Pieter Janssen war das schöne Bild des Dienstmädchens, das beim Lesen das Putzen vergisst. Wo heute Frauen ihre Bücher lesen: Auch in der Universität, Bücher sind nicht nur zur Entspannung da. Manche Frauen wollen lesen, doch es wird ihnen verboten – sie lesen heimlich. Am Swimmingpool im Urlaub, am Meer, im Supermarkt an der Kasse anstehend, auf der Bank auf dem Spielplatz, in der S-Bahn, auf dem Bahngleis. Und hier halte ich im Stehen lieber ein elektronisches Exemplar in der Hand, als 500 Seiten Hardcover. Auch wenn der Autorin nur Papier gefällt – sie wollte doch Frauen beim Lesen zeigen – und die lesen heute auch gern mal elektronisch. Kinder fehlen auf den Bildern, vorlesende Mütter. Klar, diese Frauen hier mussten ihre Kinder an Kindermädchen abtreten. Was ich hier vorfinde, sind berüschte weiße Frauen, meist in wallenden Röcken, oft bestückt mit Hütchen und Sonnenschirmchen – brave Frauen, betuchte Frauen, die genau das zur Schau stellen, die alle Zeit dieser Welt hatten, umgeben von Bediensteten. Ich vermisse Gemälde rund um den Globus, einen Bezug zur heutigen Gesellschaft. Ich bin von dem Buch enttäuscht, kann rein gar nichts damit anfangen, es hat nichts mit meiner Lesewelt zu tun. Die Texte sagen mir gar nichts. Geschmack. Bildbeschreibungen mit Interpretationen – ich kann mir die Bilder selbst ansehen und mir meine Gedanken machen. Meine Augen sehen, wo die Frau sich befindet und was sie anhat. Ich brauche nicht Interpretation der Autorin, ob das nun hübsch ist, ob es ihr steht, oder warum sie wohl da sitzt. Alles Geschmacksache. Elke Heidenreich hat das Buch gefallen, sie hat das Vorwort geschrieben und es gibt sicher noch weitere Leser, die es lieben werden. Meine Erwartungshaltung war wohl eine andere.

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