monerl
Meine Meinung Ein Bilderbuch für Erwachsene. Mein erstes dieser Art. Und ich stelle fest, dass sich so ein Bilderbuch für Erwachsene viel schwieriger liest als ein normaler Roman. Viel Bild, wenig Text. Somit ist der*die Leser*in sehr gefordert, das Gesehene zu interpretieren. Und das ist gar nicht so einfach! Das Grundgerüst, die Rahmengeschichte, bildet der Klappentext. Dieser war für mich sehr verständlich und hat mich neugierig gemacht! Nun folgen wir dem blinden Mädchen auf ihrem Weg durch die U-Bahnen und wie sie die Welt aufs Neue erkundet. Dabei dürfen wir an einigen ihrer Gedanken und den verschiedenen Fragen teilnehmen, die sie sich stellt, wie z.B. ob es immer noch so wundervoll ist mitanzusehen, wie die Wolken am Himmel sich verwandeln. Wer kennt das nicht?! Als Kind auf dem Rücken in der Wiese liegen und den Wolken zuschauen wie sie vorbeiziehen und in ihnen Formen erkennen. Es machte mich traurig zu wissen, dass das blinde Mädchen dieses Spiel und diesen Anblick nie mehr wieder wird genießen und erleben können. Umherfliegen wie ein Vogel, das wäre doch schön! Aber wäre es immer noch so toll, wenn man nicht sehen könnte? Wie frei wäre man noch, wenn man nicht sehen kann, wo die Hindernisse sind? “Überall lauern Gefahren auf mich. Ich bin jederzeit bereit, Abschied zu nehmen. Und doch ist die Welt so schön und wundervoll, dass ich mich nicht von ihr trenne möchte.” (Zitat aus dem Buch) Jimmy Liao hat ein poetisches und philosophisches Buch erschaffen, das so bildgewaltig und traumhaft farbig ist. Seite für Seite steigt das Mädchen in die U-Bahn hinuter und erwartungsvoll wieder nach oben. Ein kleiner, weißer, struppiger Hund begleitet sie und ist auf jeder Seite wiederzufinden. Ob er zu ihr gehört, ist nicht klar. Jedenfalls ist er, neben dem blinden Mädchen, ein feste Größe im Buch. Die Bilder unterstreichen überwiegend den kurzen Text darüber. Es gibt viel zu sehen und zu entdecken, was so extrem im Gegensatz zu dem steht, dass das Mädchen nicht sehen kann. Ich konnte mich kaum sattsehen an diesen vor Farbe sprühenden Bildern. Wo die Realität sie alleine lässt, behilft sie sich mit ihrer Vorstellungskraft und Fantasie sowie den Erinnerungen aus der Vergangenheit. Auf manches wird das Mädchen für immer verzichten müssen. Dafür gewinnt sie anderes dazu. Selbst scheinbar Unüberbrückbares kann sie schaffen und findet viel Positives in ihrem Leben. Jimmy Liao beendet sein Buch mit einem schönen und hoffnungsvollen Ausschnitt aus Rainer Maria Rilkes “Die Blinde”. Für mich ist das ein gelungener Abschluss für ein Buch, das lange nachhallen wird. Fazit Ich habe dieses Buch dreimal gelesen, angeschaut und darüber nachgedacht. Und schlussendlich denke ich herauszulesen, dass der Künstler uns sagen will, wie schön das Leben trotz Einschränkungen sein kann, wenn man es zulässt. Das Mädchen hat ihre Angst überwunden und ist in die weite Welt hinausgegangen. Ihr Mut gibt ihr wieder eine Freiheit zurück, die sie jedoch vorsichtig kennenlernen muss. Dabei stolpert sie, fällt hin, verirrt sich, fühlt sich fremd und hat trotzdem immer irgendwie auch Hoffnung. “Die Vorstellung macht mir Angst, das Glück könnte ganz nahe sein und ich sehe es nur nicht.” “Den Kummer von gestern habe ich schon vergessen. Was man vergisst, ist nicht mehr wichtig.” ” Ist das die Endstation? Oder ein neuer Startpunkt?” Diese drei Zitate nehme ich für mich mit und hoffe, sie nicht zu vergessen. Auch wenn es im Alltag oftmals schwer ist, mich die Melancholie packt, werde ich versuchen an dieses blinde Mädchen zu denken, das nun seine Welt mit den anderen Sinnen entdeckt, auch wenn ihm die Sicherheit und die Schönheit der Farben verloren gegangen ist.