Marc Lippuner
Gemeinhin gilt Preußens Königin Luise als Lady Di des 19. Jahrhunderts: Schön und anmutig war sie wie keine zweite Königin im Hause Hohenzollern, beim Volk erfreute sie sich aufgrund ihres eher bürgerlichen denn aristokratischen Habitus‘ großer Beliebtheit, 1810 wurde sie im Alter von nur 34 Jahren viel zu früh aus dem Leben gerissen. Der Königin der Herzen macht jedoch eine Namensvetterin Konkurrenz, die den oben genannten Gemeinsamkeiten mit der englischen Kronprinzessin Diana noch einige hinzufügt. Luise von Sachsen-Coburg-Saalfeld, ebenfalls hübsch, beliebt und jung verstorben, haderte mit dem höfischen Protokoll, war in einer lieblosen Ehe gefangen, wurde des Ehebruchs beschuldigt und vom Hof verstoßen. Darüber hinaus hat sie als Schwiegermutter Queen Victorias eine direkteVerbindung zum englischen Königshaus. Ulrike Grunewald, Royal-Expertin des ZDF, promovierte 2013 über die unangepasste Herzogin, fünf Jahre später hat sie ihre Dissertation noch einmal auf links gedreht, um mit „Die Schand-Luise“ ein populäres Sachbuch zu veröffentlichen, dass die Biografie noch einmal neu – wesentlich erzählerischer – aufbereitet. Das kurze, skandalreiche Leben der heute vergessenen Herzogin liefert in ausreichendem Maße Ingredienzen für einen großen historischen Roman: Eine junge Prinzessin, die gegen alle Konventionen selbstbestimmt leben möchte, ein Herzog, der sie aus dynastischen Gründen ehelicht, eine böse Schwiegermutter, die ihr den Umgang mit den beiden Söhnen verwehrt, einen Vater, der gern auch mal Frauenkleider trägt, eine herzlose Stiefmutter, einen schnittigen Rittmeister, eine ominöse Griechin sowie eine Schwiegertochter aus dem englischen Königshaus. Der Anspruch, aufgrund einer überschaubaren Quellenlage nicht ins Spekulieren zu kommen, gebietet einer saftig, opulenten Ausschmückung, die durchaus als Vorlage für eine mehrstaffelige Netflix-Serie taugen würde, jedoch Einhalt. Und so gerät die Erzählung an manchen Stellen zu lang, an manchen ein wenig zu trocken. Die Figuren verharren in ihrer historischen Einordnung, nur wenige werden plastisch genug, um ihnen „nahe kommen“ zu können. Trotzalledem bietet das Buch einen unterhaltsamen, verständlich geschriebenen Einblick in die gesellschaftlichen Konventionen des frühen 19. Jahrhunderts, über die eine junge, lebenslustige Frau sich vergeblich hinwegzusetzen versuchte. Ulrike Grunewalds Verdienst ist es, die Biografie dieser rebellischen Adligen erforscht und sie – ohne Verklärung oder Beschönigung – dem Vergessen entrissen zu haben.