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readingyoda

Posted on 1.6.2019

Für mich als Krimileserin sind nicht nur ausgedachte Geschichten interessant. Sehr gerne werfe ich einen Blick „hinter die Kulissen“ und lese auch das ein oder andere Sachbuch. „Mörderinnen“ ist in der Hinsicht ansprechend, da der Autor Veikko Bartel in seiner Funktion als Strafverteidiger die Täterinnen tatsächlich verteidigt hat. Im Vorwort wird kurz, aber intensiv auf das in Deutschland herrschende Strafrecht eingegangen. Für Nichtjuristen trotz der theoretischen Grundlagen fesselnd geschrieben und ohne erhobenen Zeigefinger. Hier wird nicht erklärt, sondern Erfahrungen weitergegeben. Der erste Fall hat es direkt in sich. Elvira P., die bereits zweifache Mutter ist, tötet ihr Neugeborenes und kocht es dann zwei Tage lang, um es möglichst spurlos verschwinden zu lassen. Ganz ehrlich? Ich musste das Buch erst einmal zur Seite legen und tief durchatmen. Allein schon bei der Vorstellung wurde mir ganz anders. „Wir wollen sagen, dass unsere Mama kein Monster ist. Dass sie die beste Mama ist, die sich ein Kind nur wünschen kann. Ob die das glauben oder nicht. […] Das muss jeder hören.“ (Zitat Seite 40) „Klar waren wir oft traurig, dass wir so arm sind. Aber die Liebe unserer Mama hatten wir immer. Jeden Tag. Sie hat uns nie enttäuscht, nie ein Versprechen nicht gehalten. […] Wir haben Mama unendlich lieb. Und sie braucht sich keine Sorgen zu machen, dass sich das ändert.“ (Zitat Seite 65) Als ihr der Prozess gemacht wurde, hat der Vater einen Brief der beiden Kinder, elf und fünfzehn, vorgelesen. Inmitten der hasserfüllten Worte, die seit Beginn der Verhandlung in jeder Zeitung über sie standen, waren dies die wohl überraschendsten Aussagen. Aber was zeigt das? Dass in vielen Fällen die Hintergründe von wichtiger Bedeutung sind. Das „Warum“ steht im Raum: Was treibt einen Menschen an? Liest man sich das Inhaltsverzeichnis durch, ist der erste Gedanke: Diese Frauen müssen für ihre Taten bestraft werden. Gerade am Beispiel des ersten Falles kann man auch erkennen, dass die Presse eine weitaus größere Rolle spielt, als man meint. Eine reißerische Berichterstattung macht sich immer gut. Sieht man aber das gesamte Bild, merkt man, dass es nicht nur die Kategorien „Gut“ und „Böse“gibt. „Es gibt unendlich gute Menschen, die bisweilen böse Dinge tun und umgekehrt.“, hat der Autor in einem Interview festgestellt. Vor allem möchte er zeigen, dass es ihm um den Menschen geht, nicht um die Tat als solche. „Glaube ist keine Kategorie der Strafprozessordnung.“ (Zitat Seite 203) Wer kennt es nicht, ein verzweifeltes „Bitte, glauben Sie mir!“. Doch darum geht es nicht. Man muss dem Gericht die Dinge aus der Sicht des Täters zeigen. Das Bild bunt malen, das Kastendenken der Menschen versuchen auszuschalten. Dazu gehört alles, was den Menschen ausmacht, von Kindheit an. Die Fälle haben mich sehr berührt, vor allem weil ich ständig daran denken musste, dass es sich um reale Fakten handelt. Das hat sich niemand ausgedacht, seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Menschen sind wirklich zu solch grausamen Taten fähig – der Nachbar, der Arbeitskollege, die Mutter vom Spielplatz. Geschrieben war das Buch mitreißend, packend, berührend. Ich konnte es kaum aus der Hand legen. War es doch auf der einen Seite grausam und brutal, fand ich es zugleich faszinierend, zu erfahren, was jemanden zu solchen Taten antreibt. Auf das Pendant „Mörder“ (VÖ 04.03.2019) bin ich schon sehr gespannt. Persönliches Fazit: Im Nachgang möchte ich noch einmal betonen, dass ich keineswegs eine Mörderin in Schutz nehme oder ihre Tat verteidige. Vielmehr hat mir dieses Buch gezeigt, dass es halt nicht immer einfach ist, einen Menschen aufgrund einer Tat zu vorverurteilen. Sehr empfehlenswerte Lektüre!

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