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Katharina Eichler

Posted on 30.5.2019

Manche Bücher liegen auf diesem einen Stapel. Der Stapel mit Themen, von denen ich weiß, dass sie mich nicht loslassen werden. Oder sowieso schon lange beschäftigen. Seitdem ich „Wir Kinder der Kriegskinder“ von Anne-Ev Ustorf gelesen hatte, ist die Thematik der Kriegskinder und -enkel bei mir sehr präsent – nicht für mich selbst, aber als Augenöffner für das Verhalten mir sehr wichtiger Menschen. „Das Erbe der Kriegsenkel“ von Matthias Lohre wartete nun schon länger geduldig darauf, von diesem Stapel genommen und gelesen zu werden. Und ich hatte Recht – es bestätigte viel von dem, was ich schon wusste und hat durch seinen persönlichen Zugang noch ein paar neue Facetten hinzugefügt. Matthias Lohre geht seiner persönlichen Geschichte auf den Grund, seiner Unfähigkeit, Zugang zu seinen eigenen Emotionen zu finden. Sich selbst genug zu sein, sich selbst wertzuschätzen. Schwäche zuzugeben, oder dass ihm etwas zu viel ist. Erst nachdem seine Eltern beide gestorben sind, erkennt er, dass in dem, was sie ihm als emotionales Erbe mitgegeben haben, der Schlüssel zu seiner Unzufriedenheit liegt. Also begibt er sich auf eine Reise zu den Erlebnissen seiner Eltern und sogar Großeltern, unterstützt durch Traumatologen und Psychologen. Die sehr persönliche Geschichte zu teilen war sicher nicht einfach, wie auch die Reise selbst, so wie er sie beschreibt, nie leicht war. Aber er konnte auf diese Weise Muster erkennen, die lange Zeit sein Leben negativ beeinflusst haben, OBWOHL er genau nicht so sein wollte wie seine Eltern. Und er konnte sie, was noch viel wichtiger ist, durchbrechen. Das gibt mir Hoffnung. Vor allem für diejenigen, die jetzt als neue Generation kriegstraumatisierter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener nach ihrer Flucht Gefahr laufen, eine erneute Folge an Trauma zu vererben. Mit dem, was wir heute wissen, können wir diesen Menschen helfen, nicht in die gleiche Spirale zu geraten. Und wie Matthias Lohre schreibt, ist es tragisch, dass die Generation seiner Großeltern und Eltern diese Hilfe nicht bekommen hat. Aber das darf kein Grund sein, es den Menschen von heute zu verwehren. Denn kein Leid sollte jemals gegen ein anderes aufgewogen werden. Niemals.

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