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gwyn

Posted on 30.5.2019

Der erste Satz: »Jeder Mensch schleppt einen Fluch mit sich herum.« Román Sabaté, Privatsekretär des bekannten Politikers Fernando Riveras, befindet sich auf der Flucht. Mit ihm reist Joaquín, der dreijährige Sohn seines Arbeitgebers. Sie sind auf dem Weg zu Onkel Adolfo. Riveras wird ihn jagen, das ist gewiss und darum müssen sie vorsichtig sein. Wie es dazu kam, wird nun rückblickend multiperspektiv erzählt. »Wer Angst hat, sollte nicht in die Politik gehen. Angst ist nur was für uns, für die kleinen Leute. Politiker kommen doch gerade deshalb so weit, weil sie vor nichts Angst haben.« Wie wahr. Wer die Wahrheit sagt, wird zerrissen, dem folgen die Wähler nicht. Wer kleine Brötchen backt, nichts verspricht, dem wollen sie nicht folgen. Die Großmäuler, charismatisch, manipulativ, die versprechen etwas. Narzissten hatten schon immer gute Karten beim Volk. Darum geht es in diesem Roman. Bauunternehmer Fernando Revira, reich geworden durch Finanz- und Immobilienspekulationen, gründet die Partei »Pragma«. Ziel des Multimillionärs ist, sich zum Gouverneur wählen zu lassen, um später zum Präsidenten aufzusteigen. Sportlich, gutaussehend, charismatisch, voll Eloquenz, baut er sich für seinen Aufstieg in die Politik ein Team auf, vertrauenswürdige Menschen, intelligente Berater, ein Marketingteam. Hierzu gibt es Auswahlverfahren für Hochschulabsolventen. Sebastián, mit den besten Noten, ein glühender Anhänger von Revira, will unbedingt dabei sein, überredet seinen Freund Román Sabaté, mitzukommen, auch am Assessment-Center teilzunehmen. Aus Langeweile begleitet er seinen Freund, rechnet sich mit seinen Noten keine Chancen aus. Eigentlich hat er mit Politik nichts am Hut oder eine Familie, die ihn protegieren könnte. Sebastián bekommt keinen Job. Doch Román gelangt sofort in den inneren Kreis, wird als Privatsekretär und Personaltrainer eingestellt. Er versteht nicht, was Revira in ihm gesehen hat. Viel später wird er verstehen, zu welchem perfiden Zweck er wirklich eingestellt wurde. Der Leser erfährt es in der Mitte des Romans. »Dem Gouverneur Adolfo Alsina gelang es nicht, Präsident Argentiniens zu werden. Und so blieb es seit Dardo Rocha: Nie schaffte es ein Gouverneur der Provinz Buenos Aires, die Wahl zum argentinischen Präsidentenamt für sich zu entscheiden.« Wenn man Südamerikaner kennt, bzw. Literatur aus Südamerika liest, weiß man, wie viel Aberglaube in diesem Kontinent steckt. Riveras Partei bekommt immer mehr Einfluss, er ist sich siegessicher, aber auch in ihm steckt der Aberglaube fest verwurzelt. Das von ihm angestrebte Amt hat einen Haken. Und auf diesem Titel liegt ein Fluch, so glaubt Rivera. Noch nie hat es ein Gouverneur der Provinz Buenos Aires bis zum Präsidentenamt geschafft, keiner von ihnen wurde je gewählt. Also, so Riveras Plan, muss man die Provinz teilen: zwei neue Provinzen mit zwei neuen Namen. Nun legt er alles dran, dieses Ziel zu erreichen. »Charisma. Durch den Erfolg angelockt, schlossen sich ihm alle möglichen Unternehmer, Politiker kleinerer Gruppierungen, Medienleute und weitere einflussreiche Akteure an und halfen ihm, jeder auf seine Weise, bei der Gründung von Pragma, der Partei mit dem Wahlspruch: Damit es wieder aufwärtsgeht - packen wir es an.« Román Sabaté ist in seiner Position dicht an Rivera dran, bekommt hautnah mit, wie dieser Mann seinen Einfluss ausbaut. Korruption, illegale Parteienfinanzierung, Lügen, Intrigen, der Mann geht im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen. Marketing, die Sicht nach außen zählt. Was wollen die Leute hören, wie verkauft man etwas, wie gibt man sich nach außen? Welche Worte wählt man? Innenansicht und Außenansicht des smarten Teams. Wie kann ein Bau- und Immobilienlöwe solche Macht gewinnen? Mit Millionen. Der Blick auf die andere Seite des Kontinents lässt grüßen. Claudia Piñeiro hat die heutige Welt fein beobachtet. Politiker ohne Herzblut und Grundsätze, ohne Ideen, ihr Land nach vorn zu bringen, die aus reiner Machtgier inhaltsleer regieren, lügen, betrügen, jonglieren, hat sie mit ihrer Figur des Parteiführers wahnsinnig gut in Szene gesetzt. Eine Politik des Marketings, der Showbühne der Versprechungen und Lügen, der Intrigen und Manipulation, des Social Media. »An verdorbenen Charakteren herrscht in jedem Fall in unserer Geschichte kein Mangel.« (China) Eine weitere Figur ist Valentina, genannt China, eine Journalistin, die im politischen Feld agiert, eine TV-Journalistin die an einem Buch über Rovira arbeitet. Claudia Piñeiro schreibt den Roman multiperspektiv, stellt am Anfang die wichtigsten Figuren auf, langsam, fein herausgearbeitet. Sie wechselt die Perspektive und die Zeitebene, der Roman wird nicht chronologisch erzählt. Der Leser haterhält einen Wissensvorsprung gegenüber den Protagonisten. Ab der Mitte nimmt die Story Fahrt auf, wird spannend, galoppiert zum Schluss, wartet mit einem unerwarteten Ende auf. Über die Figur China fügt die Autorin zwischendurch Interviews ein. China arbeitet nebenbei an ihrer »Projektskizze – Der Alsina-Fluch« (Hier erfährt man eine Menge über weltweite Flüche). Die Interviews hat die Autorin mit echten Politikern geführt, bzw. andere Interviews sind rein fiktiv. Das Buch heißt im Original »Las Maldiciones«, »Die Flüche«, für mich ein passenderer Titel. Claudia Piñeiro hat für mich wieder ein Glanzstück vorgelegt. Mit sehr genauer Beobachtung der Politikwelt hat sie uns nicht nur ein Stück Argentinien gezeigt, sondern eine Sicht, die man weltweit beobachten kann. Wie immer würzt Claudia Piñeiro mit einer Portion Humor und Sarkasmus ihren Text. Ihre Romane sind immer von ausgesprochener Raffinesse, immer unterliegt ein krimineller Akt (oder eine Schuld), ohne dass man die Bücher eindeutig als Thriller oder Krimi einstufen kann, gesellschaftspolitisch sind alle Werke. Ihre Sicht auf Menschen und Schicksale, auf die Gesellschaft, zeigt von genauer Beobachtungsgabe. Ihre Sprache ist klar auf den Punkt gebracht. Claudia Piñeiro gehört zu den erfolgreichsten AutorInnen Argentiniens, Bestseller, die in zahlreiche Sprachen übersetzt werden. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Rechnungsprüferin, »was sie, wie sie sagt, lehrte, hinter die Fassaden zu blicken«. Sie arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Ihre Romane wurden verfilmt und oft ausgezeichnet, unter anderem 2005 mit dem »Premio Clarín« für »Die Donnerstagswitwen« und 2010 mit dem »LiBeraturpreis« für »Elena weiß Bescheid«.

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