Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 30.5.2019

»Die Tiere selbst hielten im Schnitt nur zwei Jahre durch, bevor sie vor Erschöpfung tot umfielen. Die Kadaver wogen um die fünfhundert Kilo, zu schwer, als dass die White Winger sie hätten bewegen können, sodass sie warten mussten, bis die Tiere verwest waren, bevor sie sie stückweise auf die Karren hieven konnten.« Nimmt man es korrekt, so ist dieses Buch ein Sachbuch. Aber auch Sachbücher lesen sich wie Thriller. Denn die Lebensgeschichte von Joseph Petrosino ist mehr als spannend. Neben öffentlich zugänglichem Material konnte Stephan Talty auf eine umfangreiche Sammlung von Familiendokumenten und gesammelten Zeitungsausschnitten zurückgreifen, so wie auf alte Protokolle des Secret Service. Joseph Petrosino war als Kind aus Süditalien mit seinem Vater in die USA eingewandert. In New York, Manhattan lebten damals fast ausschließlich italienische Einwanderer. »Bis 1875 waren nur 25.000 Italiener gekommen, die sich verhältnismäßig leicht in Städte wie New York oder Chicago integriert hatten.« Es handelte sich meist um Fachkräfte und Akademiker. In den 1880ern erreichte dann die Masseneinwanderungswelle der Süditaliener Amerika. Allein 500.000 wohnten nun in Manhattan. Iren und Deutsche hatten das Sagen in New York. Die Italiener, eher ungebildet, arbeiteten als Tagelöhner, Schwerstarbeiter, und hatten von ihrer Mentalität her nicht das Interesse Englisch zu lernen, sich politisch zu engagieren, sich anzupassen, sich überhaupt einen Platz in der Gesellschaft zu schaffen. Zu dieser Zeit hatte der kleine Joseph Petrosino sich vom Schuhputzer über die Müllabfuhr als White Winger, die damals zur Polizei gehörte, in den einfachen Polizeidienst des NYPD hochgearbeitet, als einer der wenigen Italiener zwischen Iren. Zu dieser Zeit gab es mitten in New York einen großen Schlachthof, eine Menge Stallungen, einen Viehmarkt. Um die 150.000 Pferde bewegten Mensch und Karren, sie produzierten täglich zweitausend Tonnen Pferdeäpfel. »Wenn Italo-Amerikaner vor Mord und Erpressung geschützt werden wollten, das ließ die Behörde Petrosino damit wissen, dann musste sie eben dafür zahlen.« Mit Petrosinos Eintritt in die Polizei fiel die »Black Hand« in Manhattan ein. Es war eine Gangsterbande von Italienern, die ihre Mitmenschen bedrohten. Sie drohten mit Bombenanschlägen, entführten reihenweise Kinder, erpressten Schutzgeld und Lösegeld. Da die Italiener sich ausschließlich an Italiener hielten, war es dem NYPD ziemlich egal, wie viele Bomben hochgingen, Menschen staben, es waren eben nur die Spaghetti. Sollen sie doch einen eigenen Security-Dienst anheuern. Petrosino wollte seinen Landleuten zur Seite stehen und kämpfte hart für eine eigene Truppe italienischsprachiger Detectivs, und nach anfänglichen Schwierigkeiten erhielt er eine 5-Mann starke Truppe, die »Italian Squad«. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein gegen die »Black Hand«, die immer dreister wurden. Stück für Stück wurde die Gruppe aufgestockt, erzielte im Laufe der Jahre immer mehr Erfolge. Petrosino agierte gern verkleidet, sozusagen als erster Undercover-Detectiv. Er selbst fiel später seinen Gegnern zum Opfer. »Redner, Zeitungen und Zeitschriften lassen keine Gelegenheit aus, über die fremde Gefahr zu sprechen, die von einem Zustrom von Einwanderern ausgeht, die sich nicht an die Grundlagen und Institutionen der Republik anpassen.« Stephan Talty hat akribisch genau bis zur Augenfarbe den Mann, der selten lächelte, porträtiert. Am Ende des Buchs finden sich einige Seiten Quellenangaben. Mit der Geschichte von Petrosino erfahren wir ein Menge über die Zeit der Jahrhundertwende um 1900, eine brutale Gesellschaft, die bestimmte Gesellschaftsschichten stigmatisierte und ausnutzte. Es war eine Zeit der Entbehrung, Kinderarbeit bis hin zur Sklavenarbeit. Kapitalismus fast pur beherrschte die Zeit. Gleichzeitig gibt das Buch tiefen Einblick in die italienische Seele. Die Einwanderer hatten ihre mafiösen Strukturen selbst mitgebracht. Gesetz und Ordnung, Verwaltung, war der Feind für die Italiener schlechthin. Als Petrosino als einer der ersten Italiener in den Polizeidienst eintrat, war die Gemeinde nicht etwa stolz, sondern beschimpfte ihn als Verräter und Abtrünnigen, ihm wurde gedroht, sodass er in das irische Viertel zog. »Der durchschnittliche Sizilianer sah Männer sehr viel differenzierte. Alfano war ein uomo di rispetto, eine Respektsperson, einer der sein Schicksal – ein Leben in miseria, voll Leid und Plackerei – ein Schnippchen geschlagen hatte, indem er zum Bandit geworden war. Und das auch mehr als das. … Süditaliener … wollen vor allem, dass man ihnen gehorcht, sie bewundert, respektiert, fürchtet und beneidet.« Es gibt sehr eindrucksvolle Zitate und Quellen in diesem Buch, die nicht nur ein gutes historisches Bild auf New York um 1900 gibt, sondern man findet auch interessante Quellen, die die damalige süditalienische Einstellung zum Staat und zu Ganoven wiedergibt, unter der ein Reich von Mafiosi überhaupt erst gedeihen konnte. Gruppen, die man später unter Mafia zusammenfasste, rückten erst um 1920-1930 ins Bild. Sie lösten die »Black Hand« ab. Das Buch wird derzeit von Leonardo di Caprio von seiner Produktionsfirma verfilmt, di Caprio in der Hauptrolle. Der Film soll 2020 in die Kinos kommen. Noch ein Wort zur Mafia und Italien. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Italien 27 Journalisten ermordet worden. Das italienische Innenministeriums gibt an, dass derzeit in Italien 19 Journalisten rund um die Uhr von einer mehrköpfigen Polizeieskorte bewacht und begleitet werden (einschließlich deren Familie). 190 weitere Reporter erhalten andere Formen des Schutzes. Einige Journalisten zogen nach Rom um, weil man ihnen nur hier ausreichend Schutz gewähren kann. Wer in der Provinz wohnt, sollte aufpassen, worüber er in Medien berichtet. Journalisten ist hier mehr oder weniger der Mund verboten, über die Mafa zu schreiben. Die Organisation »Ossigeno per l’informazione« hat seit 2006 in Italien an 3778 Journalisten tätliche Übergriffe, Morddrohungen oder andere schwere verbale Attacken festgehalten. (Info aus einem Artikel »Neue Züricher«, 26.02.2019)

zurück nach oben