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autsch

Posted on 17.5.2019

Als Wieland literarisch das erste Mal in Erscheinung tritt, ist er ein Bewunderer von Klopstock und veröffentlicht religiöse Lyrik. Durch Lektüre von Cervantes, Rousseau u.a. und neue persönliche Freundschaften, wandelt er sich zu einem Protagonisten der Aufklärung, und wird auch von Goethe geschätzt. "Agathon" ist Wielands erster Roman und wird mehr als wohlwollend aufgenommen. Immerhin setzt er Maßstäbe, die weitere Generationen von Autoren beeinflussen werden : es ist der erste Bildungsroman der deutschen Literatur, spart nicht an Ironie und Spiel mit literarischen Konventionen, und ist erotisch recht freizügig, ohne allzu explizit zu werden. Auch nutzt er die Entwicklung des Agathon, eines jungen Mannes im 4. oder 5. Jahrhundert vor Christi Geburt, um deutliche Kritik an Religion, Kirchen und Regierenden zu üben. Agathon, ein schwärmerischer junger Mann wächst im Apollon-Tempel zu Delphi auf, verliebt sich dort - platonisch - in die Tempeldienerin Psyche, die aber von einer Priesterin entfernt wird, welche erotische Gelüste auf Agathon hegt. Der entflieht und kommt nach Athen. Hier bewährt er sich als Redner und Politiker, der streng einen tugendhaften Prinzipien folgt, von Neidern aber alsbald zur Strecke gebracht wird. In Smyrna,wo er nach seiner Verbannung lebt, verliebt er sich in Danae, bricht aber mit ihr, als ihm ihre - nicht unbedingt tugendhafte - Vergangenheit enthüllt wird. Noch einmal wird er scheitern : am Hofe des sizilianischen Königs Dionysios, den er vom hedonistischen Lebemann zum gerechten König mit platonischen Prinzipien wandeln will. Letztlich sind sein Idealismus, seine Prinzipientreue und die Weigerung, das tatsächliche Leben in seine Anschauungen aufzunehmen, der Grund für die Vergeblichkeit seiner Bemühungen. Erst die Umgang mit einem väterlichen Freund lehrt ihn, Idealismus mit der Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen und - späterhin - auch persönliches Glück zu empfinden. Für mich gehören und gehörten die "Klassiker" immer zur Grundstruktur meines Leserlebens, insofern hatte ich mit diesem Buch keinerlei Schwierigkeiten, weder was die älteren Sprach - und Wortformen anging noch die heute kaum noch goutierte Ausführlichkeit. Allenfalls der dialektische Aufbau hätte mich stören können, wäre es Wieland nicht gelungen, diesen mit Ironie, psychologischer Beobachtung und lebendigen Einzelheiten zu füllen. Ob dieses einem Leser nahezubringen wäre, der sich ausschließlich im tagesaktuellen Literaturgeschehen bewegt, wage ich - vorsichtig -, zu bezweifeln. Ich jedenfalls konnte das Buch durchaus genießen.

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