DasIgno
Was geschieht mit einer Metropole, wenn sich eine ihrer Konstanten plötzlich radikal verändert? Miami findet das seit einiger Zeit heraus, denn das Wasser des Atlantiks ist über Nacht verschwunden. Von einem Tag auf den anderen verschwinden ganze Berufssparten, die Politik verliert ihren Einfluss, Bürgerwehren formieren sich, Alligatoren streifen durch die Stadt und eine wachsende Gruppe formiert sich zum basisdemokratischen Kongress. Andere zieht es in die zunehmend abgeriegelte Wüsten- und Berglandschaft, die der Atlantik hinterlassen hat. Durch dieses Miami schlagen sich Indieprogrammiererin Robin, ihre Freunde und Familie und ein alterndes, halbprofessionelles eSports-Team aus Wuppertal. ›Miami Punk‹ erschien 2019 bei FISCHER. Der experimentelle Gesellschaftsroman erzählt mit unterschiedlichen Sprach- und Textformen auf 640 Seiten Episoden aus den Leben der Protagonisten sowie einiger Nebencharaktere. Ich beginne positiv, damit das nicht ganz in den Hintergrund rückt. Denn die Grundannahme des Buches gefällt mir beispielsweise wirklich gut. Guse nimmt einen gesellschaftlichen Mikrokosmos, verändert eine seiner Konstanten und spielt die Konsequenzen durch – und das wirklich fantasievoll. Dass Ringer, die sportlich trotz Erfolgen bisher ein Schattendasein führten, beispielsweise nun ihre Profession darin finden, die Alligatoren, die in Massen verwirrt durch die Stadt wandern und zur Gefahr für ihre Bewohner werden, mit ihren Fähigkeiten zu bekämpfen, das nötigt mir ein Grinsen ab. Auch die Idee des Kongresses, mit dem Guse die typische linksaktivistische Plenumskultur ein Stück weit auf den Arm nimmt, gefällt mir sehr. Leider – und fast alles, was jetzt kommt, ist Geschmackssache – leidet vieles in ›Miami Punk‹ sehr unter der jeweiligen Sprach- oder Textform. Den Handlungsstrang des CS-Teams finde ich beispielsweise grundsätzlich wirklich schön, er wird mir aber sehr oft durch seitenlanges Fachgesimpel und quasi transkribierte CS-Matches verdorben. Das ist schade und müsste nicht sein. Ich war selber mal recht aktiver Gamer (nicht CS, sondern UT) und bin mit Vokabular und Maps durchaus vertraut, aber selbst mit dem Vorwissen wurde mir das zu viel. Ähnliches gilt für Vorträge im Kongress, die teils fast wortprotokollarisch ganze Kapitel füllen. Das Problem hierbei ist für mich, dass ich nicht wirklich einordnen kann, ob das wirklich so gedacht oder Auswuchs von Berufskrankheiten ist (ich darf das sagen, ich habe auch mal mit viel Freude Soziologie studiert). Vieles liest sich in Sprach- und Textform wie sozialwissenschaftliche Arbeiten – und wenn Sozialwissenschaftler eins können, dann ist das unheimlich furchtbar zu schreiben. Sätze, die sich bald über ganze Seiten ziehen – wer braucht zehn Verschachtelungen, wenn man auch noch eine elfte schafft – seitenlange Aufzählungen, damit auch wirklich jeder Punkt genannt ist. Ein Großteil der soziologischen Texte, die ich durcharbeiten durfte, zeichneten sich in hohem Maße durch Schreiben um des Schreibens Willen aus. Das ist leider in den seltensten Fällen angenehm lesbar. Zudem braucht das Buch wirklich sehr lange, bis eine Ahnung von Story zwischen den einzelnen Erzählsträngen erkennbar wird. Ich hatte kurz vor der Hälfte des Buchen langsam das Gefühl, Zusammenhänge zu erkennen, die sich gegen Ende aber wieder als wahrscheinlich falsch herausstellten. Bis dahin musste ich schon mehrfach mit mir kämpfen, das Buch abzubrechen. Spätestens beim ersten der drei ›Domainkapitel‹ – Guse schreibt die Geschichte dort über mehrere Seiten in Domainform, also ohne Interpunktion geschweige denn Leerzeichen – war ich erstmals kurz davor. Selbst als Stilmittel ist das in der Länge einfach unnütz, weil jedenfalls mir nichts von diesen Kapiteln hängen bliebt. Man ist viel zu sehr damit beschäftigt, den Text irgendwie in verständliche Sprache zu bringen. Um das noch zu verkomplizieren, kommen insgesamt nicht gerade wenige Sprach- und Rechtsschreibfehler dazu. Was mich etwas amüsiert hat (im Sinne von ›das habt ihr jetzt davon‹), weil die vor allem da auftreten, wo Text- oder Sprachform nur noch unter größter Anstrengung lesbar sind. Den Einstieg, der ein AoE2-Match zwischen Robin und einer fremden Spielerin minutiös beschreibt, fand ich schon nicht besonders gelungen, weil er durch die Detailliebe einfach unheimlich langatmig wird. Ich denke, viele Leser wird alleine das schon abschrecken, weil man wirklich leicht den Eindruck bekommt, bei ›Miami Punk‹ handele es sich um Nerdlektüre – von Nerds, für Nerds. Dem ist nicht so, finde ich. Das Buch könnte als große Gesellschaftskritik durchaus Potential haben, ist dafür aber wahrscheinlich zu massenuntauglich geschrieben, auch wenn ich einsehe, dass die Sprach- und Textformen durchaus ihren Sinn haben. Es ist für mich nur einfach in jedem Punkt too much. Man hätte das Buch problemlos um mindestens ein Drittel kürzen können und hätte an Story und Message wahrscheinlich nichts eingebußt, dafür das Lesevergnügen massiv gesteigert. Kaum erwartbar, aber ich tue mich schwer mit einem Fazit. Die Idee gefällt mir, einzelne Charaktere auch. Allerdings habe ich mich auch gewaltig durch das Buch gequält – ambivalent zwar, weil ich einerseits wissen wollte, wie es weiter geht, andererseits aber endlich wieder lesbare Sprache lesen wollte, aber eine Qual war es doch recht oft. Mit geistes- oder sprachwissenschaftlichem und Gamer-Hintergrund mag ›Miami Punk‹ leichter runter gehen, aber wie gesagt, die habe ich auch. Wie es da Lesenden ohne diese Hintergründe geht, will ich mir gar nicht ausmalen.