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Marc Lippuner

Posted on 23.4.2019

In der letzten Dekade vor dem Mauerfall entstand in Marzahn die größte, von elfgeschossigen Plattenbauten dominierte Großbausiedlung der DDR. Nach der Wende verlor das hoffnungsvolle Wohnbauprojekt schnell an Attraktivität, heute wohnen hier – so das landläufige Vorurteil – die Langzeitarbeitslosen, die sozial Verwahrlosten, die Armen. Und viele Nazis. Die Verhaltensforscherin Christiane Tramitz legt mit „Die Schwestern von Marzahn“ den Finger in diese offene Wunde, erzählt vom Leben ganz unten, indem sie hinter die Plattenbaufassaden blickt, um anhand von Einzelschicksalen Empathie zu wecken, mit dem hehren Ziel, die Mittelschicht wachzurütteln und gesellschaftliche Gräben zu schließen. In zwei exemplarischen Handlungssträngen entwirft sie die Geschichte des Wendeverlierers Fabian, dessen Ehe mit Marie nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes zerbricht. Während Marie Trost und Hoffnung bei zwei katholischen Schwestern findet, die Anfang der 90er-Jahre aus dem Westen kommend in Marzahn eine Anlaufstelle für Haltlose und Zweifelnde eröffnet haben, schöpft Fabian wieder Hoffnung durch die ungewöhnliche Freundschaft zu einem vernachlässigten Schwesternpaar, dass schon monatelang ohne elterliche Betreuung im selben Haus einige Stockwerke unter ihm wohnt. Für ihre Recherchen zu diesem Buch hat sich die Autorin für einige Monate in einem der zahlreichen Hochhäuser eingemietet, Einsamkeit und Anonymität auf sich wirken lassen, Gespräche mit ihren Nachbarn geführt und aus all den Eindrücken und Schicksalen ihre berührend-bedrückende, aber nicht ganz zuversichtslose Reportage destilliert, die eher Roman als Dokumentation ist.

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