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Seitenfetzer

Posted on 13.4.2019

Kennt ihr auch dieses Gefühl? Da hat man jahrelang Animes geschaut und Mangas gelesen, oder Videospiele aus Japan gespielt – und trotz des Kontakts mit diesen japanischen Medien hat man trotzdem das Gefühl, dieses Land kaum zu kennen. Schließlich sind diese keine reine Dokumentation der Lebensrealität, wie schon das Beispiel der Rocklänge von Schul-Uniformen zeigt. Aus dem Grund wollte ich mich mal aus einem anderen Blickwinkel über das Land informieren, dessen popkulturelle Einflüsse mich z.B. in Form von Nintendo-Spielen eigentlich schon seit meiner Kindheit mitprägen. So kaufte ich in einem englischen Buchladen in Amsterdam "Japan Through the Looking Glass". Was mir dabei nicht bewusst war: Das Buch ist von 2007 und Alan Macfarlane ist mittlerweile emeritierter Professor des King’s College in Cambridge. Dementsprechend könnte dieser Blick auf Japan sich kaum mehr von meiner Otaku-Perspektive unterscheiden. Gerade das hat "Japan Through the Looking Glass" eben zu einer wissenserweiternden Lektüre für mich gemacht. In acht Kapiteln geht er auf verschiedene Aspekte der japanischen Gesellschaft ein und schneidet dabei oftmals Themen an, die im Anime in der Regel keine Rolle spielen und über die ich mir daher nie wirklich Gedanken gemacht hatte. So habe ich beispielsweise gelernt, dass Verträge durch den gesellschaftlichen Umgang einen völlig anderen Stellenwert haben, oder wie die Bevölkerungszahlen lange Zeit auch ohne Verhütung weitestgehend stabil gehalten wurde. Natürlich sollte bedacht werden, dass der Autor einen wissenschaftlichen Hintergrund hat und das Buch entsprechend nüchtern gehalten ist. Allerdings ist es bei Weitem nicht auf dem trockenen Niveau, auf dem sich meine Uni-Texte manchmal bewegen. Dennoch hätten hier und da mal eine Abbildung dem Buch durchaus nicht geschadet – gerade bei der Beschreibung japanischer Kunst. Außerdem lässt sich eine gewisse Struktur erkennen, die Macfarlane eindeutig verfolgen will. Oftmals lässt er ein Kapitel mit dem Aufzeigen einer paradoxen Gegensatz-Struktur enden, sodass deutlich wird, dass sich Japan immer in manchen Punkten dem einen, in anderen dem anderen Gegensatz (wie z.B. modern und traditionell) zuordnen lässt. Dabei vergleicht er Japan gerne mit westlichen Ländern oder Phänomenen, was den Teil über die Wirtschaft Japans für mich besonders kompliziert gemacht hat, weil ich mich einerseits mit dem Thema an sich nicht zu gut auskenne, er aber zudem auch immer wieder parallelen zum United Kingdom zieht. Und meine Kenntnis dessen wirtschaftlicher Entwicklung beschränkt sich eben auf „Da war die Industrialisierung“ und „Ende des letzten Jahrhunderts gab es da Miners‘ Strikes“. Abgesehen von der Gegensatz-Struktur möchte Macfarlane letztendlich auch aufzeigen, wie Japan in vielen Bereichen äußere Einflüsse „japanisiert“ und in dieser veränderten Form eingebaut hat. Was der Teil über die Wirtschaft mir nicht zeigen konnte, habe ich so beim Punkt Religion umso besser nachvollziehen können. Hierbei werden neben Religionen, die Japan beeinflusst haben, wie Buddhismus oder Konfuzianismus, auch Vergleiche mit uns westlich geprägten Menschen vertrauteren Religionen angestellt. So wird beispielsweise die Theorie des „Axial Age“ bzw. das Fehlen dessen damit illustriert, dass es in Japan kein Äquivalent zu Jeremia oder Konfuzius gab. Mein einziges Problem mit "Japan Through the Looking Glass" ist tatsächlich das Alter des Buches. Schließlich hat die japanische Popkultur in den letzten 12 Jahren weiter an Einfluss genommen, während Japan gleichzeitig auch weiter von außen beeinflusst worden ist. So habe ich mich bei so manchen Aussagen doch gefragt, ob sie heute überhaupt noch zutreffen. Fazit Wer sich auf durchaus wissenschaftlicher Ebene über Aspekte Japans belesen möchte, die in Animes und Co. eher seltener eine Rolle spielen, kann sich mit "Japan Through the Looking Glass" einen vielseitigen Überblick über die paradox-erscheinende, japanische Gesellschaft verschaffen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass das Buch schon seine 12 Jahre auf dem Buckel hat und dementsprechend wohl nicht immer den aktuellen Stand widerspiegelt. Daher vergebe ich 4 von 5 Sternen.

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