Profilbild von Ladybug

Ladybug

Posted on 10.4.2019

Wann wird ein Held zum Teufel? Einst Nobelpreisträger, landet Dr. Norton Perina mit über 70 Jahren wegen Pädophilie im Gefängnis. Sein ihm völlig ergebener Mitarbeiter Dr. Kubodera überredet ihn, dort seine Geschichte aufzuzeichnen. So erfährt der Leser/Hörer hier also aus erster Hand – aber natürlich auch aus nur dieser Perspektive – wie Perina aus dem Labor heraus auf der Insel Ivu’ivu landete. Dort stellt er Forschungen zu den dortigen offenbar ewig lebenden Eingeborenen an. Eine bestimmte Schildkrötenart, die nur auserwählte Menschen verzehren dürfen, scheint der Schlüssel dafür zu sein. Perina erzählt von seinen Entdeckungen – die leider in allen Belangen erschreckend sind … Eigentlich wollte ich weder das Buch lesen noch das Hörbuch hören. Doch dann habe ich das Hörbuch geschenkt bekommen und wagte mich doch daran. Ich hatte mich darauf eingestellt, sehr lange dafür zu brauchen, viele Pausen einlegen zu müssen. Das Thema – oder besser: die Themen – sind nicht einfach und gehören zu den Dingen, die ich nur schwer verkrafte. Auch finde ich das Cover einfach schrecklich. Das ist allerdings tatsächlich einfach nur mein persönlicher Geschmack - ich mag keine Personen bzw. deren Gesichter auf Covern. Kaum hatte ich mit dem Hören begonnen, konnte ich kaum aufhören. Trotz aller immer mal wieder auftauchenden Schrecklichkeiten bzw. den vordergründig relativ harmlosen Szenen, die aber jede Menge Alarmglocken auslösten und so ganz von selbst Gedankengänge auslösten, die gar nicht gut waren. Perina, absolut davon überzeugt, das Richtige getan zu haben, erzählt wirklich ehrlich. Nur wird spätestens am Ende klar, wie er die Wahrheit sieht. Er spricht von Entdeckungen und den Folgen, von Versuchen und Erkenntnissen. Von Aktionen und Reaktionen, von der Insel und der Rückkehr. Nur zwischen den Zeilen wird deutlich, welch Zerstörung seine Forschungen ausgelöst haben. Umso fassungsloser steht man dann aber da. Ganz von selbst beginnt man, über Sinn und Unsinn von der Möglichkeit, durch irgendwelche Möglichkeiten (hier eben das Verzehren einer bestimmten Schildkrötenart) ewiges Leben zu erlangen, zumal die „Nebenwirkungen“ auch hier nicht unerheblich sind. Welche unfassbare Zerstörung die Entdeckung nach sich zieht, erwähnt Perina nur am Rande, doch dem Leser/Hörer bleibt einfach nicht erspart, das vor dem geistigen Auge zu realisieren. Doch wird auch klar, dass wir mit unseren Maßstäben die Riten der Ureinwohner messen und über Dinge urteilen, die wir gar nicht verstehen. Jeder noch so kleine Eingriff von außen zerstört das fragile Gleichgewicht der Natur. Perina versucht einerseits, seine Schuld dadurch zu begleichen, indem er Kinder von der nun zerstörten Insel rettet, doch das Ende des Buches raubt mir den Atem und schmerzt mich umso mehr, als ich tatsächlich bereit war, Perinas Beweggründe zu verstehen, Entschuldigungen für ihn zu finden und Mitleid mit ihm zu haben. Hanya Yanagihara ist meiner Meinung nach ein großartiger Roman gelungen, der wachrüttelt und auch verängstigt. Durch die „Fußnoten“ von Kubodera gelangt man zu Erkenntnissen, die ohne diese schwieriger gewesen wären. Gleichzeitig lassen sie erkennen, dass Perina niemanden aufgehalten hat. Und das offenen Auges. Besonders erwähnen möchte ich auch noch, dass es immer mal wieder Szenen gab, bei denen ich laut auflachen musste. So sehr haben Perina und Kubodera mich auf die falsche Spur geschickt – und dadurch wird klar, dass es niemals genug ist, nur eine Seite einer Geschichte zu kennen und manchmal sogar zwei zu wenig sind. Die Autorin schafft es, ein paar sehr unangenehme und unbequeme Themen ans Licht zu zerren und den Leser dazu zu zwingen, hinzusehen. Das ist ein erster Schritt, weitere und vor allem reale Verbrechen dieser Art zu verhindern. Ein Buch, das fesselt und durch das man geradezu fliegt. Wunderbare Schilderungen eines einzigartigen Naturvolkes. Ganz viel Diskussionsstoff. Noch mehr Blendwerk. Aber beeindruckend ohne Ende. Manchmal muss man eben auch etwas lesen/hören, das nicht bequem ist und aus der Komfortzone herausholt. Es lohnt sich. Absolut. Fünf Sterne.

zurück nach oben