Anka Willamowius
Arthur Less, die Hauptperson des Romans, ist ein schwuler, in San Francisco lebender Schriftsteller kurz vor seinem 50. Geburtstag. Sein Leben läuft gerade alles andere als rund. Sein Freund hat nach neun Jahren Beziehung beschlossen einen anderen zu heiraten, sein neuer Roman trifft beim Verleger nicht auf Gegenliebe und der runde Geburtstag steht ihm bevor. Als dann auch noch die Einladung zu der besagten Hochzeit eintrifft, möchte Less eigentlich weder hingehen (zu herzzerreißend), noch absagen (zu peinlich). So kommt er auf die ebenso verschrobene wie geniale Idee sämtliche anderen Einladungen anzunehmen, die eine Reise um die Welt auf Kosten diverser Veranstalter und Verleger versprechen, um während Hochzeit und Geburtstag auf jeden Fall außer Landes zu sein. Er reiht eine Einladung zu einer Konferenz in Mexiko an eine Preisverleihung in Italien, gefolgt von einem Lehrauftrag in Berlin und der Recherche für einen Zeitschriftenartikel in Japan. Less, dessen Name nicht zufällig auch „weniger“ bedeutet, hält sich für einen mittelmäßigen Autor, einen alternden Liebhaber und wirft sich vor, im Leben die falschen Entscheidungen getroffen zu haben, vor allem in der Liebe. Je nach Anlass schlüpft er in unterschiedliche Rollen und definiert sich gern über seinen leuchtend blauen Anzug, ohne den er quasi „nicht existiert“, wie er meint. Homers Odyssee fasziniert ihn, er versucht sich an einer schwulen Version von Ulyssees, denn er selbst ist ebenfalls auf einer langen Reise zu sich selbst. Wer ist er ohne seinen Anzug, ohne seinen Lebenspartner, abseits seines Heimatlandes, dessen Sprache und Gewohnheiten ihm vertraut sind? Wieso wird ihm vorgeworfen, ein „schlechter Schwuler“ zu sein? Leben die anderen wirklich ein so viel besseres Leben? Und was soll nach der großen 50 kommen? Arthur Less‘ Dilemma zeigt sich sogar in seinen Träumen. Einen davon gibt er – Bier in der Hand – auf einer Party zum Besten (S. 211): „And I keep riding through this dark wood (…). And a farmer is there, and he waves at me, and he says sort of the same thing. ‘More important things ahead for you!’ (…) I ride up the mountain, and at the top is a cave and a priest – you know, like in a cartoon. And I say I’m ready. And he says for what? And I say to think about more important things. And he asks, ‘More important than what?’ ‘More important than love.’ And he looks at me like I’m crazy and says, ‘What could be more important than love?’” Less flüchtet einmal rund um den Globus, nur um zu erkennen, dass er seine Vergangenheit nicht abschütteln kann, ebenso wenig wie das Rätsel um die eigene Identität, die eigenen Werte. Erst zum Schluss des Buches wird klar, wer diese Geschichte von Less erzählt und dass auch ganz andere Sichtweisen möglich sind. Das Buch liest sich flüssig und abwechslungsreich, auch durch die häufigen Ortswechsel, ist spannend und komisch. Der etwas kauzige Less wächst dem Leser schnell ans Herz, wie er etwas tollpatschig von einer Situation in die nächste schlittert. Dabei nimmt er natürlich das eine oder andere Fettnäpfchen mit, kann aber durchaus über sich selbst lachen. Auch die ihm begegnenden Personen sind liebenswert-skurril, wie im Leben eben. Der Roman erscheint teilweise autobiografisch. Der Autor Andrew Sean Greer ist etwa im gleichen Alter wie sein Protagonist Less und lebt wie dieser mit seinem Ehemann in San Francisco. Stationen des Romans scheinen dem Leben des Autors nachempfunden zu sein. So war Greer z.B. Gastdozent an der Freien Universität Berlin, Finalist für einen Literaturpreis in Italien für die italienische Übersetzung eines seiner Bücher und hat auch die anderen im Buch auftauchenden Länder selbst bereist. Eine schöne Wendung ist, dass im Roman ein früherer Lebenspartner von Arthur Less für sein Werk den Pulitzer Preis gewinnt, den auch Andrew Sean Greer 2018 für dieses Buch gewonnen hat. Eine unterhaltsame Tour de Force durch die Welt und das Leben, mitreißend und heiter, aber alles andere als flach. Ich habe es verschlungen!