Anka Willamowius
Die Frau auf der Treppe gibt es doppelt – einmal als Gemälde und einmal real. Sie spielt ein doppeltes Spiel – mit zwei Männern. Der Erzähler kommt als junger Rechtsanwalt mit den drei Beteiligten in Kontakt und hat zunächst Schwierigkeiten, das Beziehungsgeflecht zu durchschauen. Das Bild der Frau hat für alle drei eine besondere Bedeutung, aber anscheinend für jeden von ihnen eine andere. Der junge Rechtsanwalt ist betört von der Frau und dem Bild. Er gerät mitten hinein in das Geflecht. „Die Wucht, mit der mich damals das Verlangen nach Irene Gundlach überfiel – nichts hatte mich darauf vorbereitet, und zum Glück ist es mir danach auch nicht wieder passiert. Ich fuhr zurück nach Frankfurt und musste anhalten und aussteigen, weil ich so benommen war. Das gab es also – ein Glück, von dem ich mir nicht hätte träumen lassen, für das es nur diese eine Frau brauchte, ihre Nähe, ihre Stimme, ihre Nacktheit. Noch hatte sie den letzten Schritt von der Treppe ihres alten Lebens in ein neues Leben nicht gemacht – wenn sie ihn in mein Leben machen würde! Und wenn sie jeden Morgen wieder so in mein Leben treten würde und in meine Arme!“ (S. 32) Als sich die Spuren aller längst verloren haben, Jahrzehnte vergangen sind, unser Erzähler eine Familie gegründet und erfolgreicher Partner seiner Kanzlei geworden ist, sieht er das Bild zu seinem Erstaunen wieder. Und das am anderen Ende der Welt, wo er es am wenigsten erwartet hätte, in Australien. Wo das Bild ist, könnte auch die geheimnisvolle Frau in der Nähe sein. Der Erzähler begibt sich auf die Suche. Alte Sehnsüchte werden wach. Hätte sein Leben ganz anders verlaufen können? Gibt es noch etwas zu lernen aus dieser Begebenheit, die schon so viele Jahre zurück liegt? Bernhard Schlink erzählt wunderbar spannend und entwirft drei sehr unterschiedliche Männergestalten. Ihnen allen ist gemein, dass sie eher berechnend mit Gefühlen umgehen, wenn sie sie denn überhaupt für bedeutend halten. Im Kontrast dazu steht Irene, die Frau auf der Treppe, die chaotisch ihren eigenen Kopf durchsetzt. Wer benutzt hier eigentlich wen? Und warum? Eine schöne und nachdenkliche Geschichte über die verschiedenen Rollen, die wir im Leben einnehmen können, auch wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind.