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buchperlenblog

Posted on 4.4.2019

Eine selbstverwaltete Kolonie irgendwo auf der Welt. Eine Kolonie von Mennoniten. Eine Kolonie, die acht Männer beherbergt, die sich an weit über 300 Frauen vergangen haben, unbemerkt, jahrelang. Eine Kolonie, deren Frauen nun entscheiden müssen: Gehen oder bleiben? Wir wollen denken. Miriam Toews wuchs in einer mennonitischen Kolonie auf und sagt selbst im Hinblick auf ihren auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman: Ich hätte eine dieser Frauen sein können. Eine dieser Frauen. Denn in der bolivischen Mennoniten-Kolone Manitoba wurden zwischen 2005 und 2009 wirklich mehr als 60 Frauen allen Altersstufen des Nacht bewusstlos gemacht. Wenn sie erwachten, waren sie blutbeschmiert, zerschunden, misshandelt. Die männlichen, streng gläubigen Mitglieder der Kolonie schoben diese Ereignisse den Teufeln zu, oder, noch schlimmer: den Früchten der weiblichen Fantasie. Miriam Toews nimmt sich ihrer Geschichte an, die erst zehn Jahre zurückliegt, und verpackt sie in eine tiefgründige Diskussion zwischen acht Frauen, die das weitere Leben aller Frauen der Kolonie bestimmen sollen. Sollen sie bleiben und gegen die Männer kämpfen, die ihnen das Unaussprechliche Nacht für Nacht antaten? Ihnen schlussendlich vergeben und verzeihen, damit sie alle ins Himmelreich eingehen können? Oder sollten sie weggehen, hinaus in eine Welt, die sie nicht kennen, deren Sprache sie nicht sprechen? Die Diskussion wird zwischen zwei Familien geführt, wobei alle Altersstufen vorhanden sind. Die einzelnen Personen sind nicht weiter beschrieben, sollen sie doch die Gesamtheit widerspiegeln. Der einzige Mann, der zugelassen ist, ist August Epp, dessen Eltern die Kolonie verließen, als er noch ein Kind war. Der als einziger die Welt kennenlernte, der schreiben kann und der ihre Aussagen protokollieren kann. Für wen genau ist auch ihm nicht klar, denn die Frauen in Molotschna können weder schreiben noch lesen. Nun ist für den Menschen, der die Welt und seine Rechte kennt, natürlich klar: Keinen Moment länger würde ich das Dach mit diesen menschlichen Ungeheuern teilen. Doch die Frauen haben Ängste, die man selbst nicht hat, wenn man nicht so aufwuchs, wie sie es taten. Abgeschottet, ohne Rechte, mehr Tier als Mensch, in einer männergemachten Welt. So dreht sich das Gespräch immer wieder im Kreis, niemand will so richtig auf den Tisch hauen, auch wenn sie alle spüren, dass es nur den einen Weg gibt. Sie wechseln die Themen, reden von anderen Dingen, zitieren sich Bibelverse, die sie selbst nicht verstehen, die ihnen von Männern ausgelegt wurden. Sie suchen nach dem einen Strohhalm, der sie alle retten wird. Die Geschichte spielt in 48 Stunden, denn nur so viel Zeit bleibt ihnen, bis die angeklagten Männer aus der Stadt zurückkehren und der Weg hinaus vielleicht für immer versperrt ist. Wie sehr kann man sein bisheriges Leben abstreifen, um sich zu retten? Um in eine fremde Welt einzutreten, die genauso gefährlich, genauso grausam sein kann, wie die, die sie kennen? Und wofür werden sie sich entscheiden? Fazit Die Aussprache ist keine leichte Lektüre, kein Betthupferl, kein Schönreden der Welt. Die Aussprache ist anstrengend und nervenzehrend, und doch kann man sie nicht aus der Hand legen, will wissen, wie sie sich schließlich entscheiden. Auch ohne ins Detail zu gehen, bringt sie eine Wucht an Gräueln mit, die verdaut werden müssen.

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