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fabelfuchs

Posted on 1.4.2019

Das Buch verspricht dem Klappentext nach ein spannender Bibliothekskrimi zu werden. Geheimnisse, Mysterien und Bücher? Eigentlich genau mein Ding! Unserem Protagonisten, dem schweizerischen Bibliothekar Ernst Stricker wird durch eine Verwechslung das mysteriöse, titelgebende Päckchen von einer senilen Witwe, deren Mann in den 1940ern in den Bergen verschollen ist, angedreht. Dieses Mysterium ist aber schnell gelöst, er packt es bald aus und erkennt auch auf den ersten Blick den Gegenstand: ein frühmittelalterlicher Codex in althochdeutscher Sprache. Es wird kurz auf die Außergewöhnlichkeit des Fundes hingewiesen: Das Buch ist ein weiterer „Abrogans“-Codex und stammt ebenfalls aus dem späten 8. Jahrhundert (wie der Protagonist das ohne intensive Untersuchung und Hilfe von Historikern eindeutig zuordnen und eine Fälschung ausschließen konnte ist mir schleierhaft). Der „Abrogans“ ist das älteste Buch in althochdeutscher Sprache und bildet eine Art Wörterbuch zwischen Althochdeutsch und Latein. Trotz der Seltenheit solch alter historischer Dokumente in deutscher Sprache fehlte mir im ganzen Buch eine weitere Erläuterung, warum dieses Exemplar des Codex so wertvoll ist. Schließlich ist bereits ein „Abrogans“ erhalten und es ist unwahrscheinlich, dass ein zweites Exemplar der Wissenschaft neue Erkenntnisse bringt. Lediglich im Klappentext steht, dass es sich eventuell um das Original-Manuskript des „Abrogans“ handelt, im Buch selbst geht diese Information völlig unter. Der Spannungsbogen um den Inhalt des Pakets ist damit kaum vorhanden. Das eigentliche Rätsel ist nun, wie ein so alter Codex in den Besitz der senilen Witwe bzw. ihres Mannes gelangte und wer diese ominösen Leute sind, die hinter dem Buch her sind. Wenn ich das Buch so zusammenfasse, klingt das alles spannender als die Lektüre war … Ein zweiter Handlungsstrang im 8. Jhd. soll dem Codex wohl mehr emotionale Tiefe geben. Dort folgt der Leser dem Novizen, der diesen Codex verfasste und zur weiteren Abschrift durch die Klosterlandschaft der Alpen trug. Als der Novize sich mit einer Frau einlässt, war der Vergleich mit Umberto Ecos Der Name der Rose vollkommen. Das Päckchen schneidet hierbei nur leider sehr schlecht ab. Wahrscheinlich hat der Verlag sich deshalb entschieden, den großen Anteil an Historischem Roman außen nicht auf das Buch zu drucken. Weder Klappentexte noch Cover deuten auf dieses Genre hin, weshalb mich der krasse Zeitsprung beim Kapitelwechsel etwas überrumpelt hat. Auf der letzten Seite werden die beiden Handlungsstränge noch schnell durch einen kitschigen Satz verbunden, der völlig fehl am Platz wirkt. Wo ich in beiden Handlungssträngen immer wieder hängen blieb, waren die fehlenden Zeitangaben. Das fiel sofort auf den ersten Seiten auf, als ich über die beiläufige Benutzung von Telefonzellen stolperte, die scheinbar nach wie vor überall zu finden waren. Gleichzeitig ärgert sich der Protagonist aber über am Laptop arbeitende Geschäftsleute im Zug, die alle anderen Passagier nur zu gerne an ihren ach so wichtigen Gesprächen übers Smartphone teilhaben lassen. In welcher Zeit spielt die Handlung jetzt überhaupt? In der unmittelbaren Gegenwart mit Smartphones oder vor 10 Jahren als Telefonzellen noch nicht in Bücherschränke umgewandelt worden waren? Nach einer kurzen Recherche-Pause wurde dieser scheinbare Anachronismus erklärt: In der Schweiz waren bis 2016 Telefonzellen Teil der gesetzlich verankerten Grundversorgung für Gemeinden. Erst 2016 hat man dort begonnen, die öffentlichen Telefone nach und nach abzubauen. Ernst Handlungsstrang spielt also doch in der Gegenwart, es wäre nur schön gewesen den Leser mit einer kurzen Erwähnung dessen zu versichern oder diese schweizerische Eigenheit in einem kleinen Nebensatz zu erklären. Im gesamten Buch entschied sich der Autor für so wenig Zeitangaben wie möglich. Ich hatte zu keinem Punkt eine Ahnung, wie viel Zeit seit Erhalt des Päckchens vergangen ist; wie lange der Mönch unterwegs ist; wie lange er in einem Kloster war; wie lange sich Ernst schon auf der Suche nach den Spuren des verschollenen Bergsteigers ist. Sind nur Tage, Wochen oder schon Monate bei Ernst vergangen? Beim Mönch müssen es bestimmt schon Jahre sein, aber sicher bin ich mir nicht. Der Leser schwebt allein gelassen durch die Zeit, zwischen Frühmittelalter und Gegenwart hin und her. Mit am meisten Probleme bereitete mir der Protagonist Ernst Stricker, dessen Figur hinten und vorne nicht zusammen passen will. Der Autor kann mir nicht erzählen, dass ein (im Jahr 2017) 48-jähriger Mann und seine 45-jährige Frau sich zum ersten Mal ein Handy kaufen – aber bitte ein Nicht-Smartphone – und sie ihm stolz erklärt, was eine SMS ist… Die oben erwähnten Telefonzellen werden nämlich deshalb aufgegeben, weil die Regierung der Meinung ist, inzwischen hätte jeder ein Handy – jeder bis auf die zwei Mittvierziger Ernst und Jaqueline Stricker. Weil beide beruflich als Bibliothekare am Computer arbeiten, mutet dieser Anachronismus mehr als seltsam an. Insbesondere macht mir die Beschreibung Ernst Strickers Beziehung zu seiner Frau die Lektüre schwer. Auf den ersten Seiten lernt man ihn kennen, wie er lügt und Tatsachen verschweigt, erst der Witwe und kurz darauf seiner Frau gegenüber. Es hilft auch nicht, wenn auf diesen wenigen Seiten mehrfach die Bemerkung fällt, dass das ja ganz untypisch für ihn sei, wenn der Leser die Figur vorher nicht selbst als ehrliche, gesetzestreue Person erfährt. Ernst nimmt sich zwar immer wieder vor, seiner Frau alles zu erzählen, aber jeden Abend kommt praktischerweise etwas dazwischen: Er will erst das Päckchen alleine auspacken, also nicht jetzt.. Er will erst herausfinden, ob das Buch wertvoll ist, später… Sie schenkt ihm das Handy, das ist wirklich keine gute Gelegenheit… Das sind die einfach die dümmsten Ausreden, die man typischerweise aus ungesunden Beziehungen kennt! Immer mehr Lügen, Vertuschungen und allgemein sein gleichgültiges Verhalten ihr gegenüber machen mir diese Figur sehr unsympathisch und lassen mich an seiner Aufrichtigkeit in der ganzen Ehe mit Jaqueline zweifeln. Das gesamte Verhalten des Protagonisten erinnert mich in seiner Irrationalität unangenehm an Josef K. aus Kafkas Prozess. Manchmal hat Ernst Gedanken und Einstellungen, die eher zu einem verbitterten 70-Jährigen passen würden. An anderer Stelle verhält er sich wie ein naiver Teenager ohne Plan vom Leben: Obwohl er weiß, dass es eine einfache Zeugenbefragung ist und er keine Straftat begangen hat, flieht er vor der Polizei, versteckt sich zuerst während einer Trauerfeier in einer Kirche und klettert dann aus dem Toilettenfenster – als 48-Jähriger, der so ziemlich genau als Gegensatz eines Draufgängers beschrieben wird. Ernst schüttelt noch den Kopf über die Dummheit, alleine in den Alpen über Gletscher zu wandern, natürlich fordert man da sein Schicksal heraus und läuft Gefahr zu verunglücken – keine 50 Seiten später macht er genau das. Diese Hirnrissigkeit hat mich schon bei den Figuren in den Schullektüren aufgeregt. Am frustrierendsten war der Schreibstil. Er erinnert an eine furchtbare Mischung aus Kafka und Goethe. Für das 18. Jhd. und den Anfang des 20. mag sowas evtl. als literarischer Stil gelten, heute wirkt es jedoch einfach nur veraltet oder unausgereift. Der Handlungszeitraum und die Ortswechsel haben Potential für viel mehr Seiten. Der Autor entscheidet sich aber lieber für extreme Zeitraffer, in denen beim Leser noch mehr das Gefühl für Zeiträume verloren geht, und viel zu oft für indirekte Rede. Ganze Kapitel finden ausschließlich in nacherzählter Handlung und indirekter Rede statt. Auch für die Auflösung des Rätsels wichtige Unterhaltungen gehen darin unter. Stattdessen verliert sich der Autor lieber in den Details der Mahlzeiten, welcher Wein zu welchem Fleisch, welche Beilage fade schmeckte etc. Durch das ganze Buch zieht sich trotz wechselhaftem Schreibstil als einziger roter Faden eine nicht enden wollende Monotonie, die gut zum leider stereotypisch gezeichneten, langweiligen Leben eines wissenschaftlichen Bibliothekars passt. Bei den Beschreibungen der Skitour verpasst der Autor dem Leser ein Gefühl für das vom Protagonisten so vielgeschätzte Bergpanorama zu geben und beschreibt lieber in knappen Sätzen die technischen Details der Ausflugsroute. Trotz eines Gegenstandes von historischem und monetärem Wert, mysteriösen Interessensgruppen, Polizeibefragungen und lebensgefährlichen Unfällen, kommt in diesem Buch einfach keine Spannung auf. Die einzige Stelle im ganzen Buch, die nicht absolut langweilig war, findet der nicht-interessierte Leser auf Seite 176. Dort übergibt sich Jaqueline, die Frau des Protagonisten, im Hotelflur und ihr Begleiter wischt es mit einer namentlich genannten Zeitung auf. Der beste Witz des Buches kann dem Autor gar nicht angerechnet werden, denn der konnte beim Schreiben ja nicht ahnen, dass eben diese Zeitung mit Zitat hinten auf das Buch gedruckt werden würde. Die Zeitung wird sich sehr gefreut haben … Im Kern trägt das Buch eine interessant Grundidee. Aber die Ausführung lässt an so vielen Stellen zu wünschen übrig. Vor allem durch den inkonsequenten Schreibstil wirkt Das Päckchen auf mich wie eine Vorstufe zum fertigen Buch, wie ein grob formuliertes Konzept, das noch einige Überarbeitungen vor sich hat, bevor es in den Druck geht. Die Geschichte ist verschenktes Potential und frustrierend unausgereifter Text. Ich weiß nicht wirklich für welche Leser sich dieses Buch eignet. Vielleicht für alle, die sich mit einer unaufgeregten, gekürzten Reader’s-Digest-Version von Der Name der Rose vor den lärmenden Enkelkindern in den Ohrensessel zurück ziehen möchten? Für mich war das Buch jedenfalls nichts und ich bin froh, Das Päckchen endlich hinter mir zu lassen und meine Zeit mit spannenderen Geschichten zu verbringen. (Freddie)

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