anett
Uff. Als mir dieses Buch zum lesen angeboten wurde (von der Agentur Literaturtest), habe ich lange überlegt, ob ich das lese. Aber dann hat die Neugier gesiegt und ich muss sagen, ich bin froh, dass ich zugegriffen habe. Das Buch war so spannend geschrieben und so umfassend recherchiert, dass ich dies tatsächlich innerhalb von nur 24 Stunden ausgelesen hatte! Das Buch ist in mehrere Teile aufgebaut. Teil 1 befasst sich mit dem Leben und dem Aufwachsen von Sasha. Sasha hat schon früh bemerkt, dass er sich weder in weiblich noch in männlich eingliedern mag und bezeichnete sich recht früh auch als genderqueer. Seine Eltern und sein Umfeld nahmen das auch als recht selbstverständlich auf. Es werden mehrere Situationen aus seinem Leben geschildert, seine Freunde lernt man kennen, sein persönliches Umfeld. Im 2. Teil lernt man dann Richard kennen. Im Grunde ein netter Kerl, der sich schwer in der Schule konzentrieren kann, aber nicht dumm ist. Auch hier lernt man das Umfeld und die Freunde von ihm kennen. Merkt sehr schnell, dass er doch in einem ganz anderen Umfeld groß wird. Foto Anetts Bücherwelt Der 3. Teil nennt sich „Feuer“ - hier geschieht jetzt die unfassbare Tat. Dashka Slater versucht akribisch den Hergang aufzuschlüsseln, warum hat Richard das getan, wie wurde Sasha gerettet. Außerdem die Verhaftung und die Vernehmung Richards. Richard machte relativ schnell eine Aussage, die Polizei wusste genau, welche Fragen sie stellen musste, so hieß es, es war eine Hate-Crime Tat. Allerdings kam man selbst als Leser nicht umhin, dass dies einfach nicht so war. Und da Richard sogleich bei der Polizei ausgesagt hat – ohne Anwalt – wurde er auch gleich entsprechend eingestuft und nun sollte er als Erwachsener vor Gericht. Dazu hat die Autorin auch sehr viel recherchiert. Nachdem in den 80ern die Kriminalität von Jugendlichen immer mehr und gewalttätiger wurde, wurde ein Gesetz eingeführt, dem es erlaubt, Jugendliche nach Erwachsenenstrafrecht vor Gericht zu stellen. Allerdings wurde das wieder gekippt, als die Kriminalität wieder zurück ging. „ Neun Monate nach Verabschiedung von Proposition 21 wurden in Kalifornien dreißig Prozent aller straffälligen Jugendlichen als Erwachsene angeklagt. In manchen Countys war der Prozentsatz noch viel höher – in San Diego County zum Beispiel wurden bis zum Ende des ersten Jahres drei von vier Jugendlichen vor ein Erwachsenengericht gestellt. Das lag nicht daran, dass mehr Jugendliche Verbrechen begingen. Die Verhaftungsrate von Jugendlichen fingen im Herbst 1994 an zu fallen und sind seitdem stetig weiter gesunken. Der FBI-Index für jugendliche Gewaltverbrechen, der Verhaftung für Mord, Vergewaltigung, Raubüberfall und schwere Körperverletzung misst, ist heute niedriger als 1980, und das trifft auf alle ethnischen Gruppierungen zu. Die Gewaltverbrechensrate unter schwarzen Jugendlichen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten sogar um sechzig Prozent gefallen und die Mordrate um zweiundachtzig Prozent. Die „Supergewaltverbrecher“ - Apokalypse war ein Mythos.“ (Seite 203/204) Ein paar Seiten früher beleuchtet die Autorin, was genau Hate-Crime ist, wie dieser Begriff entstand und warum jugendliche Verbrechen genau deswegen als Erwachsenengericht geführt werden. Richard wurde angeklagt mit zwei Straftaten: schwere Körperverletzung & tätlicher Angriff mit vorsätzlicher Körperverletzung. Im Falle einer Verurteilung musste er mit bis zu lebenslanger Strafe rechnen. Sein Cousin und dessen Freund, die bei der tat dabei waren wurden jedoch nie vernommen, verhaftet oder angeklagt (Seite 198/199). Im 4. Teil, der sich Justiz nennt geht es um das Urteil und dessen Folgen. Hier möchte ich nichts weiter dazu schreiben. Alles in allem hat mich das Buch tief berührt. Manchmal auch etwas verstört, aber alles in allem fand ich das so interessant und gut recherchiert. Es lies sich leicht und flüssig lesen und die Autorin hat ein Händchen für eine sprachlich gute Ausdrucksweise. Der Autorin ging es auch nicht darum, Richard unschuldig zu sprechen, sondern ihr ging es wirklich darum, alle Seiten aufzuzeigen. Unschuldig war er einfach nicht. Was mich noch beeindruckt hatte, waren auch Sashas Eltern Debbie und Karl. Nicht nur der Umgang mit Sasha und seinem Coming-Out (auch sie mussten sich damals erst einmal belesen, was genderqueer bedeutet), auch das sie ihm so ein selbstbestimmtes Leben ließen. Als Sasha sieben Jahre war, bekamen sie von einem Psychologen, der bei Sasha das Asperger-Syndrom diagnostizierte, gesagt, dass sie keine großen Erwartungen an die Zukunft legen sollten. „Mit ein bisschen Glück und harter Arbeit, so sagte er voraus, könne Sasha vielleicht einer niedrig qualifizierten Arbeit wie Datenverarbeitung nachgehen. … Debbie und Karl beschlossen, nicht mit diesem bestimmten Psychologen zusammenzuarbeiten.“ (Seite 323) Und was dann aus Sasha wurde und was er tat – lest es selbst! Denn das ist es, was ich allen mitgeben möchte – lest das Buch, es ist wirklich so gut! Ich bin noch heute ganz überwältigt davon und brauchte ein paar tage, um das alles zu verdauen und eine Rezension dazu zu schreiben.