Katherina Ushachov
Demi-Monde ist eine Computer-Simulation, die programmiert wurde, um Soldaten auf alle Eventualitäten eines Krieges vorzubereiten. Das denkt die amerikanische Regierung. Tatsächlich steckt aber ein Professor dahinter, der einen weitaus verhängnisvolleren Plan verfolgt. Nur Ella Thomas, die in die Demi-Monde eingeschleußt wurde, um die Tochter des Präsidenten zu retten, scheint ihn noch vereiteln zu können. Aber auch sie vermag nicht, den Professor davon abzuhalten, nicht nur die virtuelle, sondern auch die reale Welt in große Gefahr zu bringen... Die Erwartungen nach einem wirklich, wirklich großartigen Band 1 sind hoch - und dass es ein Jahr gedauert hat, bis ich mir endlich Band 2 besorgt habe, spielt auch eine gewisse Rolle... Okay, ich habe ein gutes Gedächtnis und konnte eigentlich sehr schnell wieder in die Geschichte rein. Spielte Band 1 noch größtenteils in den Rookeries und in Rodina (die zum FourthRight fusionierten), begibt man sich in Band 2 in eine andere Gegend der Demi-Monde - ein Großteil der Handlung spielt im französischsprachigen Quartier Chaut mit den Bezirken Paris, Rom, Barcelona und dem unabhängigen Venedig. Einzelne Szenen spielen im Coven (genauer gesagt in Rangun). Die Schauplätze sind auch hier wieder sehr lebendig und eindrucksvoll charakterisiert und da man die wichtigsten Begriffe und Wortspiele schon mal kennt, ist man weder erschlagen davon, noch muss man an jeder Ecke darüber lachen. Wobei, UnFunnies für UnFunDaMentalisten ist jedes Mal einen Lacher wert :D Tja. Und kaum hat man den Leser so weit, dass die gängigsten Begriffe bekannt werden, verstreut man ein paar neue (sodass das Buch am Ende zwei Glossare hat, weil eins nicht mehr ausreicht und man zwischen "Demi-Monde"-Neologismen und "Reale-Welt"-Neologismen trennen muss), damit man ja nicht aufhören darf zu denken... Fand ich persönlich nicht schlecht und der Seitenhieb, der in den "Reale Welt"-Abschnitten auf unsere Gesellschaft, die Tendenz zu Überwachung, Übernormung, Schönheitsidealen, absurder Digitralisierung ausgeteilt wird, war gut gezielt, herrlich absurd und angesichts dessen, worauf sich die Gesellschaft zubewegt, bitter nötig. So langsam erfährt man mehr über das, was in der alternativen Geschichte passiert ist - in den USA haben die Evangelikalen die Macht an sich gerissen, der Brite gilt als Todfeind. Und außerdem gibt es einen plausiblen Grund für Ellas seltsame Visionen aus Band 1... Nachdem Rod Rees schon in Band 1 zahlreiche historische Persönlichkeiten, Strömungen und andere Dinge eingebaut hat, schüttet er jetzt noch einige Dinge mehr in den Cocktail. So treten jetzt auch Nostradamus der "Hellseher", Kondratjew der Wirtschaftsmathematiker, der Marquis de Sade und Giacomo Casanova als Figuren auf. Und als würden nicht bereits genug Ideologien und Religionen durch den Kakao gezogen, kommt hier auch noch eine Verquickung der Mythen von Lilith, der Sintflut, Loki (im Buch Loci oder LoQi) hinzu. Und in der Demi-Monde ist "Wahrsagen" eine seriöse Wissenschaft *g*. Der Schreibstil ist wieder flüssig und eloquent, lebt von den cleveren Wortspielen und Begrifferätseln. Während Band 1 sich aber gerade so noch unter die Jugendbücher/Jugenddystopien (wenn auch eher für die Altersgruppe 16+) einordnen lassen könnte, kann man das von Band 2 nicht sagen. Nicht nur, weil das Buch durch noch mehr Anspielungen, noch mehr Perspektiven, Ortssprünge und Verquickungen einfach noch komplexer als der ohnehin nicht ganz simple Reihenauftakt ist. Es ist auch deutlich brutaler und neben Blut spritzt auch die Zitronensäure fast bis an die virtuelle Decke ;-). Wenn das alles wäre, würde ich das Buch ohne nachzudenken mit 5 Sternen bewerten. Es gibt aber einen Punkt, der mich unsicher macht und ich bin mir sicher, ob ich es verraten kann, ohne zu spoilern. Rod Rees macht hier etwas, das mich zutiefst fasziniert hat - und gleichzeitig massiv verunsicherte, weil ich es nicht sofort eingeordnet bekam. Als ich begriff, um was es sich handelt, konnte ich die Lektüre wieder genießen - aber ich stehe ja auch auf Experimente, neue Erzählwege und ungewöhnliche Dinge in der Literatur. Gleichzeitig kann ich aber verstehen, wenn es manchen Lesern - Demi-Monde ist auch so schon keine einfache Lektüre für Nebenbei - die Hutschnur platzte und Rod Rees sich für den Rest der Saga einen anderen Verlag suchen musste. Weshalb Band 3 und 4 nie ins Deutsche übersetzt werden. Ich werde die Saga auf alle Fälle weiterlesen (auch wenn ich es bescheuert finde, mittendrin die Sprache zu wechseln *seufz*) und beenden. Immerhin ist die Geschichte in vier Bänden abgeschlossen und ich bin gespannt, ob all die losen Enden, schrägen Ideen und plötzlich auftauchenden Fantasy-Elemente am Ende eine zusammengehörige Geschichte liefern.