Katherina Ushachov
Ich glaube, das ist das am Schwersten rezensierbare Buch, das ich je in den Händen gehabt habe (oder führt diese Liste zumindest sehr weit an) Was nicht bedeutet, dass es schlech ist. Ganz im Gegenteil. Es ist eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Mich hat schon sehr lange kein Buch so derartig mitgenommen, so stark emotional involviert. Ich habe gelacht, beinahe geweint und mich auf das Heftigste gegruselt. Es ist einfach nur sehr schwer für mich zu beschreiben. Das Cover überrascht. Eigentlich ist es ein ganz normales Foto von einem ganz normalen Wald. Eigentlich. Hätte man es nicht auf die Seite gekippt. Was zur Folge hatte, dass ich erst irgendwo in der Buchmitte es überhaupt gemerkt habe und auch das nur, weil ich das Buch in der Ablage unter einem Glastisch verstaut habe und mir ein Lichtlein aufging, als ich es von schräg oben zufällig ansah, ohne es zu fokusieren. Und jetzt, da ich es mir nach der Lektüre noch mal ganz intensiv anschaue… Das sind alles die gleichen, skelettartig tot wirkenden Bäume und ein bisschen trockenes Moos unten drunter. Auf die Seite gekippt. Ohne zu spoilern, passt das unheimlich gut zum Inhalt. Der Inhalt ist schnell erzählt. Franka muss aus Berlin ins verschnarchte Waldburgen ziehen – dort erhält sie die Chance, in einer betreuten Jugendwohngemeinschaft zu leben. Doch als Heimkind in ein Dorf hineinzufinden, wo jeder jeden kennt, ist schwierig – besonders wenn man nicht der Norm entspricht. Doch neben dem ganz alltäglichen Wahnsinn von Kleinkariertheit, Mobbing und Kindheitstraumata hat Waldburgen ein finsteres Geheimnis. Wieso sollte die Gemeinde diese komischen schwarzen Ruinen namens Unland umzäunen? Die Welt ist hier sehr dicht – man bekommt als Leser langsam kleine und kleinste Hinweisfitzelchen gefüttert, aber die Auflösung war doch noch mal ein ganzes Stück heftiger, als ich gedacht hätte. Hier gibt es zwei mögliche Lesarten, die ich gleichberechtigt nebeneinander stellen würde – die Fantasylesart und die über Gefühlslandschaften im romantischen (als Literaturepoche!) Sinne des Wortes. Beide Lesarten sind verstörend, beide regen zum Nachdenken an. Das Buch ist sprachlich brilliant und wunderbar ausgewogen, mit aktuellen Songtexten, die immer genau von den Dingen handeln, die die Kinder unausgesprochen lassen müssen oder nicht auszusprechen wagen und die ich immer als sehr passend empfand. Wobei ich generell zu denen gehöre, die Songtexte in Büchern mögen. Dazu spielt sie mit Schriftart und Schriftgröße. Wo es nötig ist, wird da schon mal auf Frakturschrift, immer größere Buchstaben oder krakelige Handschrift zurückgegriffen und das gibt dem Buch eine Authenzität und eine Echtheit, die angesichts des Plots ein unendlich weites Feld an Interpretationen und weiteren Gedanken auftut. Frankas Art, mit Sprache zu spielen, hat es mir zusätzlich angetan Wie gesagt, die Rezension fällt mir sehr schwer – weil “Unland” auf eine Art und Weise die Emotionen anspricht, die es schwer macht, nachträglich darüber zu reflexieren. Einfach weil die Worte fehlen. Hier werden so viele Themen angesprochen. Ausgrenzung, Normalität, Gewalt, Jugendkriminalität, Identität, Sexualität, Selbstfindung… das ganze Spektrum dessen, was Jugendliche, aber auch viele Erwachsene auf jeden Fall herumtreibt und das auf eine Weise, die ich als sehr intensiv empfand. Bei diesem Buch empfehle ich aber, gerade wenn die Leser sehr jung sind, es mit den Eltern oder mit anderen Jugendlichen zu lesen und sich auszutauschen. Es lohnt sich. Von mir: Volle Punktzahl.