Daniela Becker
Ursache des Zerfalls der DDR und des gesamten Ostblocks war der wirtschaftliche Zusammenbruch der einheitlich aufgebauten Staaten. Der Kapitalismus des Westens schien sich endgültig durchgesetzt zu haben. Sinnbildlich für die Mangelwirtschaft stand die Banane. Sind die Ostdeutschen nun, ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall, glücklicher, weil sie Bananen und andere Konsumgüter immer und zu jeder Zeit kaufen können? Eher nicht. Das allgemeine Glücksniveau liegt im Osten niedriger als im Westen. Zu diesem Ergebnis kam der Deutsche Glücksatlas 2013. Warum das Glücksgefühl in den neuen Bundesländern nicht mit dem steigenden Lebensstandard einhergeht, erklärt Glücksforscher Richard Layard so: Früher hätten sich die Ostdeutschen mit den „ärmeren Genossen in den sozialistischen Bruderstaaten" verglichen, heute mit den reicheren Westdeutschen. Wer sich ständig mit Höherstehenden vergleicht, fühlt sich immer unzufrieden. Doch das widerspricht den Grundsätzen des kapitalistischen Systems, das auf Konkurrenz, Vermehrung von Geld und stetem Wirtschaftswachstum ausgelegt ist. Ginge es denn anders? Ja! Meinen Annette Jensen und Ute Scheub. Jensen, freie Journalistin, und Scheub, Mitbegründerin der Tageszeitung taz, schreiben seit einigen Jahren über „Geschichten des Gelingens" aus dem Nachhaltigkeitsbereich. „Menschen in ganz vielen unterschiedlichen Bereichen haben angefangen, ihren Bedarf anders zu decken als durch die Angebote aus der konkurrenzfixierten Wirtschaft. Das hat nichts mit Verzicht zu tun, im Gegenteil," sagt Jensen. Gemeinsam haben die beiden Autorinnen nun das Buch „Glücksökonomie - Wer teilt, hat mehr vom Leben" verfasst. Als Glücksökonomie bezeichnen Jensen und Scheub alle Formen des Wirtschaftens, welche die Lebenszufriedenheit von Menschen und Gesellschaften fördern. Im Buch beschäftigten sie sich eingehend mit der internationalen Glücksforschung. Weltweit stellt diese fest: Eigentum und Geld steigern das Wohlbefinden nur begrenzt. Menschen sind soziale Wesen: Kooperation, Teilen und Teilhaben machen sie glücklich. Das gegenwertige Wirtschaftssystem verursacht aber vor allem Konkurrenzdruck, Statusstress und sehr viel Einsamkeit. Was tun, wenn die Wirtschaft wächst aber das Glück nicht? Um sich dieser Frage zu widmen, hat der Bundestag im Jahr 2011 die „Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" eingesetzt, um eine neue Wohlstandsmessung als Alternative zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu entwickeln. Mit ihr sollte man neben dem materiellen Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen von Wohlstand abbilden können. Das Urteil von Annette Jensen und Ute Scheub zu dem undurschaubaren Indikatorenmodell, das die Kommission in einem knapp 1.000 Seiten starken Bericht vorlegte, ist vernichtend: „Statt die Brisanz der Zukunftsfragen anzuerkennen, zerlegte sich das Gremium entlang der parteipolitischen Fronten. Die damalige Regierungsmehrheit von Union und FDP wollte die Wichtigkeit des Wirtschaftswachstums unbedingt retten, die Oppositionsparteien hielten zwar dagegen, blieben jedoch bei Detailfragen hängen und verwickelten sich in Widersprüche." Drängende Fragen für Scheub und Jensen sind diese: Welche Formen von Wohlstand und Lebensqualität sind gesellschaftlich erwünscht und nachhaltig? Wie können gesellschaftliche Ziele auch ohne Wachstum erreicht werden? Wie kann das System resistent gegen Krisen werden? Das Buch „Glücksökonomie" zeigt nicht die eine perfekte alternative Wirtschaftsform auf, die allumfassende Antwort auf diese Fragen gibt. Im Gegenteil: die mannigfaltigen Beispiele, die vorgestellt werden, machen deutlich, wie vielfältig und auch zersplittert die Szene heute ist: Die Bewegung der Transition Towns etwa, die loskommen wollen von der Allmacht des Erdöls. Oder die Commons-Community, die sich dafür einsetzt, dass Gemeingüter wie Luft, Wasser, Landschaften, öffentliche Plätze aber auch Wissen und Informationen für alle Menschen frei zugänglich sind. Ouishare vernetzt die Interessenten einer Sharing Economy, für die Teilen von Wohnraum und Alltagsgegenständen selbstverständlich ist. Die Autorinnen beschreiben ferner Vertreter der Blauen Ökonomie, die sich damit beschäftigen, Abfall in neue Produkte umzuwandeln, die Do-it-yourself-Bewegung, die Prinzipien der Gemeinwohlökonomie, den Open-Source-Spirit oder aber auch alteingesessenen Genossenschaften. Sozialunternehmer wie die Gründerin des Textilunternehmens Manomama oder Persönlichkeiten wie Heidemarie Schwermer, die bereits seit vielen Jahren ohne Geld lebt, finden ebenfalls ihren Platz. Die Stärke des Buchs liegt darin, dass man beim Lesen gute Laune bekommt. Obwohl die Autorinnen die Probleme der Welt immer wieder klar benennen, zeigen die vielen Beispiele, dass sehr viele Menschen sich auf beeindruckende Weise für einen Umschwung einsetzen. Die andere Formen des Wirtschaftens ausprobieren und untersuchen, ob darin das Potenzial steckt, die kapitalistischen Strukturen zu überwinden - und dabei offenbar jede Menge Spaß haben. Den hatten die Autorinnen beim Schreiben auch. Sie machen keinen Hehl daraus, dass Distanz, wie sie vielfach von Journalisten erwartet wird, nicht gewahrt wurde, sondern sie sich als Teil dieser Bewegung empfinden. „Ich habe zum Beispiel viele junge Computer-Nerds kennengelernt. Die Szene war mir vorher völlig fremd, " erzählt Jensen von ihrer Recherche. In der Szene sei das Teilen von Programmen und Wissen seit langem völlig selbstverständlich. Inzwischen gebe es aber immer Menschen, die diese Prinzipien auch auf die materielle Produktion übertragen. „Was mich überrascht hat, ist die Offenheit dieser jungen Männer für mich als über-50-jährige Frau, die von Computern wenig Ahnung hat und da mit einer Kladde in die Berliner C-Base marschiert kommt. Sie hatten ein groß es Interesse daran, sich so auszudrücken, dass ich sie verstehe. Das war früher bei Computermenschen ganz anders, " schildert Jensen ihre Erfahrung. Überhaupt habe sie den Eindruck gewonnen, dass Kommunikation von Gleich-zu-Gleich auf Augenhöhe enorm an Bedeutung gewinnt in Kreisen, die an einer Transformation der Gesellschaft arbeiten. „Früher dachten die Linken immer, sie wüssten alles besser - und dauernd kam es zu Spaltungen. Heute hingegen geht es um Vernetzung und Kooperation: Was können wir gemeinsam tun, um voran zu kommen?", fasst sie zusammen. Wer sofort loslegen möchte kann sich im „Aktionsplan zur Förderung des guten Lebens" üben, den Jensen und Scheub am Ende ihres Buchs entwickeln.