Daniela Becker
„Einfach leben" heißt das Buch der Autorin Lina Jachmann, mit der sie uns in die Welt der Minimalisten mitnimmt. Menschen, die minimalistisch leben, wollen sich freimachen vom ewigen Konsumzwang, der Idee, dass immer mehr Dinge zu besitzen gleichbedeutend mit einem guten Leben ist. Weniger haben, mehr erleben Für die Entscheidung sich freiwillig und bewusst einzuschränken gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Die einen wollen Ressourcen sparen und die Umwelt schützen, die anderen weniger Geld benötigen und dadurch freier sein, Kontrolle über einzelne Bereiche ihres Lebens wiedergewinnen oder sich bei der Suche nach dem Wesentlichem im Leben nicht von materiellen Dingen ablenken lassen. Als Untertitel führt das Buch die Zeile „Der Guide für einen minimalistischen Lebensstil". Auf 240 Seiten schildert die Autorin, was Minimalismus bedeuten und warum und welche Vorzüge ein solcher Lebensstil haben kann. Das Werk enthält einige Anleitungen, um schrittweise die Wohnung, den Kleiderschrank und auch den Tagesablauf zu entrümpeln. Es gibt zahlreiche weiterführende Links und Hinweise auf nützliche Webseiten, Apps und Initiativen, Anleitungen für DIY-Möbel und Kosmetika und für verpackungsfreies Einkaufen. Das Ganze ist illustriert mit schönen Bildern der Fotografin Marlen Mueller. Richtig interessant sind jedoch die Portraits über und Interviews mit Menschen, die ihren Lebenslauf und die Beweggründe für ihren Einstieg in ein minimalistisches Leben schildern. Ganz unterschiedliche Herangehensweise Wer regelmäßig enorm liest, kennt viele der Protagonisten. Man erfährt wie die einstige Mode-Bloggerin Madeleine Alizadeh dazu kam, heute auf dariadaria über ihren reduzierten Lebenstil zu berichten. Milena Glimbovski, Geschäftsführerin des Berliner ZeroWaste-Ladens Original Unverpackt gibt Einblick in ihr Zuhause, in dem jedes Möbel mit Bedacht ausgewählt wurde. Anhand der beiden Gründerinnen der Kleiderei, einem Onlineportal zum Mode mieten, wird gezeigt, dass modische Outfits keineswegs immer neu sein müssen. Filmemacher Daniel Freix berichtet, wie die radikale Reduzierung seines Hab und Guts dazu beigetragen hat, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Besonders stark ist das Interview mit Joachim Klöckner, der tatsächlich nur 50 Dinge besitzt, und diesen radikalen Lebensstil schon lange pflegte bevor es den Begriff Minimalismus gab. Klöckner ist es auch, der im Interview darauf hinweist, dass es durchaus Menschen gibt, denen dieser Lebensstil aus guten Gründen Unbehagen auslöst. In seinem Fall ist es seine Mutter, die in der Nachkriegszeit auf sehr viele Dinge zwangsweise verzichten musste. Eine Sache, die vielleicht bei allen guten Ansätzen im Buch ein wenig kurz kommt: Nur weil der Leser in einer Überflussgesellschaft lebt, in der viele Dinge kurzlebig und kaum wertgeschätzt werden, gilt das noch lange nicht für alle Teile der Welt. Während wir frei entscheiden können, ist für andere Verzicht keineswegs optional. Ein wenig anstrengend ist außerdem der inflationäre Gebrauch des Wortes „clean". Clean Minds, Clean Eating, cleane Modeschnitte: Das alles löst trotz Sympathie für das Konzept des Minimalismus - zumindest bei der Autorin dieser Rezension - sofort den Wunsch aus, sich in ein besonders buntes, mit paillettenbesetztes Glitzerkleid zu werfen, ein komplexes 5-Gänge-Menü zu bestellen und dazu einen dicken Dostojewskij zu lesen. Natürlich ist klar worum es geht: Auch beim Essen kann weniger mehr sein und Achtsamkeit und Meditation sind anerkannte Methoden, um sich auf das Wesentliche im Leben zu fokussieren. Aber die ständige Wiederholung des „cleanen" wirkt dann doch etwas dogmatisch, was das Buch eigentlich gerade nicht sein will. Macht Lust auf Entrümpeln In jedem Fall ist „Einfach leben" eine umfangreiche Inspirationsquelle für Minimalismus-Anfänger und macht Lust, zumindest an einigen Stellen das eigene Umfeld ein wenig zu entschlacken. Punkteabzug gibt es für zwei Dinge: Zum einen fehlt dem Buch ein Verzeichnis, was ärgerlich ist, wenn man eine bestimmte Person oder einen Tipp nachschlagen möchte. Zum anderen löste sich beim Aufschlagen des Rezensionsexemplars der Umschlag vom Klebefalz. Das ist ein wenig schade für ein Buch, bei dem es über weite Strecken um das Motto Qualität vor Quantität geht. Dafür kann natürlich die Autorin Lina Jachmann nichts.