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autsch

Posted on 25.12.2018

"Die blaue Stunde" von Alonso Cueto ist weniger ein Roman über die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Peru der achtziger Jahre als der Roman ihrer Aufarbeitung. Natürlich werden die Grausamkeiten beider Seiten - und Cueto setzt Militär und Terrorgruppe in dieser Hinsicht vollkommen gleich - nicht ausgelassen. Sinnlose Brutalität, Unmenschlichkeit finden ihren Platz in dieser Geschichte. Doch eigentlich ist es ein Roman über die peruanische Gegenwart. Die Kämpfe scheinen beendet, doch wird anhand Adrián Ormaches Reise in die Vergangenheit seines Vaters deutlich, daß sich Peru in der "blauen Stunde" befindet, der Zeit des Hellwerdens zwischen Nacht und Tag, die oftmals die gefährlichste ist, wie es auch Miriam auf ihrer Flucht aus der Garnison hatte erfahren müssen. In der Morgendämmerung wäre sie schnell entdeckt worden und in die Hände der einen oder anderen gefallen und hätte dieses Mal wohl nicht überlebt. Adrián Ormache und Miriam als Figuren sind Zeichen für den gleichzeitigen Optimismus und Pessimismus, den man angesichts der peruanischen Vergangenheit und Gegenwart entwickeln kann : Adrián, Angehöriger der oberen Gesellschaftschicht, der Elite des Landes, ist einer der Wenigen, der sich auf seiner Suche nach Miriam und damit der Vergangenheit des Vaters der peruanischen Vergangenheit stellt, sich mit dem Erbe des Vaters auseinandersetzt und es letztlich anzunehmen bereit ist. Währenddessen verharrt die Gesellschaftselite in ihren Blasiertheiten und ihrer Unkenntnis bzw. ihrem Nichtwissenwollen. Geld, Ansehen, persönliche Eitelkeiten bestimmen das Leben der Oberschicht, während in den armen Vierteln Limas und auf dem Lande alles andere als angenehme Verhältnisse herrschen. Ein nicht nur materieller Riß spaltet die peruanische Gesellschaft. Miriam selbst ist ein spätes Opfer der ihr angetanen Gewalt, niemand kann ihr mehr wirklich helfen. Mag es ein schwaches Herz oder ein Selbstmord gewesen sein, die ihr Leben vorzeitig beendet haben, es war eine Spätfolge der ihr angetanen Grausamkeiten, der Vernichtung ihrer Familienangehörigen durch Sendero oder Miltär. Ihr Liebesverhältnis zu Adrián war nur ein vorläufiges, denn sie ahnt sehr wohl, daß ihr Herz zu schwach ist. Nach ihrem Entkommen hat sie im Verborgenen gelebt, ihre Gefühle gegenüber Adriáns Vater schwanken zwischen Zuneigung und Abscheu, Dankbarkeit und Furcht, während sie Adrián, seinen Sohn, wohl durchaus schätzt. Liebe aber scheint es allerdings nicht zu sein, eher wird sie von der Sorge um ihren Sohn Miguel getrieben. Cueto hat mit "Die blaue Stunde" einen intensiven Roman über die peruanische Vergangenheit und Gegenwart geschrieben. Der Abstieg des Protagonisten in die Dunkelheit der Vergangenheit und ihrer Schuld, aber auch in die Armenviertel der Hauptstadt Lima ist glaubwürdig, berührend und nachvollziehbar geschildert, die dagegengestellte Gesellschaftselite wirkt einerseits überzogen und karikiert, andererseits gerade deswegen umso realistischer. Einwände mag man haben, wenn sich Adriáns Suche zu einer Liebesbeziehung und zu sexuellen Begegnungen mit dem Opfer seines Vaters ausweitet. Zu sehr scheint da lateinamerikanischer Machismo das Heft in die Hand zu nehmen. Dennoch ist es literarisch sogar erklärbar und durchaus sinnvoll : es ist das Erbe des Vaters, das der Anwalt zu übernehmen scheint, diesmal in einer zivilen, unzweideutig angenehmen Weise, in der Macht und Gewalt keine Rolle spielen. Eher ist Adrián schüchtern und behutsam. Miriam dagegen - als einstiges Opfer, aber auch als Mutter - ist allerdings auch hier durchaus ambivalent. Sie findet die angenehmen Seiten von Adriáns Vater in dessen Sohn und vermag sie bis zu einem gewissen Grade sicher auch zu genießen, doch ist ihr Sohn Miguel mit Sicherheit ein bestimmendes Element ihrer Handlungen. "Die blaue Stunde", stilistisch und sprachlich eher einfach und vor allem unprätentiös gehalten, ist ein sehr dichter, fesselnder und interessanter Roman auf hohem Niveau, der es vermag, ein eindrückliches Bild peruanischer Vergangenheit und Gegenwart zu entwickeln, der politisch ist, ohne das Literarische zu verraten, und dem es dennoch gelingt, eine Diagnose und mögliche Prognosen zu stellen.

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