Profilbild von schnaeppchenjaegerin

schnaeppchenjaegerin

Posted on 16.8.2025

"Haben wir kein Salz?" Helene, Mutter dreier Kinder und Ehefrau von Johannes, die das Abendessen wie jeden Tag zubereitet hat, steht nicht auf, um das Salz zu holen. Sie steht auf, betritt den Balkon und stürzt sich aus dem fünften Stock des Mehrfamilienhauses in Salzburg zwölf Meter in die Tiefe. Übrig bleiben Schock, Hilflosigkeit, Trauer und Wut. Helenes beste Freundin Sarah ist freiberufliche Schriftstellerin und unterstützt die Familie nach dem Tod ihrer Freundin, wo sie kann. Sie zieht sogar zeitweise in die Wohnung ein, um die Lücke zu füllen, die Helene hinterlassen hat. Schließlich kann sie von zu Hause aus arbeiten und Johannes muss als Ernährer der Familie zur Arbeit. Sarah fällt in die Rolle der Hausfrau und Mutter und spürt bald, was Helene belastet haben muss. Helenes 15-jährige Tochter Lola spürt hingegen eine immer größere Wut - auf ihre Eltern, die sie im Stich gelassen haben und das patriarchale System, gegen das sie rebelliert und das sie für den Suizid ihrer Mutter verantwortlich macht. Der Roman wird nach dem Tod von Helene abwechselnd aus der Perspektive ihrer besten Freundin Sarah und ihrer 15-jährigen Tochter Lola erzählt. Beide Sichtweisen wecken auf ihre Art Emotionen und es fällt leicht, sich in die Figuren und das, was sie antreibt, hineinzuversetzen - auch wenn man ihr Verhalten nicht immer gutheißen kann. Sarah hat Helene einerseits um ihre Familie beneidet, andererseits wollte sie nie so leben und hat ihre Unabhängigkeit stets genossen. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie die Not Helenes nicht erkannt hat und versucht ihre Schuldgefühle zu kompensieren, indem sie für ihre Kinder da ist. Sie krempelt ihr Leben um und hinterfragt die Beziehung zu ihrem Freund Leon, der sich in ihr Haus eingenistet hat, aber nicht für sie da ist und kein ernsthaftes Interesse an einer tiefer gehenden Beziehung zu haben scheint. Lola missfiel die häusliche Rolle, in die sich ihre Mutter hat drängen lassen und kämpft aktiv gegen alles an, was typisch weiblich sein soll. Bislang hat sie nur verbal für ein starkes Frauenbild und Gleichberechtigung gekämpft. Nun macht sie dies auch körperlich und steigert sich zusammen mit neuen Freundinnen in einen regelrechten Männerhass hinein. Trotz des Todes, mit dem alles anfängt, ist das Buch weniger eine Geschichte über Trauer, als vielmehr ein Roman über die andauernde Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, verfestigte Rollenbilder und den Kampf dagegen. Die Ausgangssituation ist realistisch dargestellt und die Lage der Frauen wird durch die Pandemie noch verschärft. Wie verzweifelt und hilflos muss sich Helene gefühlt haben, um diesen Schritt zu gehen? Erschreckend irritierend ist, dass Sarah Helenes Rolle eins zu eins zu übernehmen scheint und sich klaglos um Kinder und Haushalt kümmert, während Helenes Ehemann ihre Hilfe selbstverständlich annimmt und ihr die Erziehung seiner Kinder überlässt. Irritierend ist zudem, in welche Spirale der Gewalt Lola gerät, indem sie die Rolle eines Racheengels für alle benachteiligten Frauen einnimmt. Beide Positionen sind extrem, wie auch die Passivität und Gleichgültigkeit der Männer in dem Roman, aber genau das provoziert und stimmt nachdenklich. "Die Wut, die bleibt" ist keine feministische Kampfschrift, sondern stellt - wenn auch einseitig und überspitzt - dar, dass die Care-Arbeit klassisch den Frauen überlassen wird, ob sie wollen oder nicht. Gewalt gegen Frauen ist ein Tabu, gegen das brutal aufbegehrt wird. Dass Frauen sich hier nur mit dem Mittel der Selbstjustiz zu helfen wissen, ist dramatisch. Die Botschaft, dass sich Frauen viel mehr wehren müssen, laut sein müssen und wütend sein dürfen, wird deutlich. Neben all der Wut, Gewalt und den negativen Gefühlen ist der Roman jedoch auch eine Mut machende Geschichte über Befreiung, Selbstbehauptung und Frauensolidarität.

zurück nach oben