
auserlesenes
Oberbayern im Jahr 1992: Arkadia Fink (13), genannt Moll, ist nicht wie die anderen Mädchen in ihrem Alter. Sie liebt klassische Musik. Das verbindet sie mit ihrer Mutter Iris, die seit mehr als acht Monaten weg ist. Ihr Vater, ein Schreiner, ist mit der Situation überfordert. Ihre beste und einzige Freundin, Bernhardina, ist eine ehemalige Musiklehrerin, bereits 84 Jahre alt und lebt im Altenheim. Als Arkadia vom Probesingen für einen Knabenchor erfährt, reift in ihr ein Plan heran: Wenn sie es in den Chor schafft, wird ihre Mutter bestimmt zurückkehren… „Durch das Raue zu den Sternen“ ist ein Roman von Christopher Kloeble. Der Aufbau des Romans orientiert sich an einer Sinfonie: Er besteht allerdings aus fünf statt vier Sätzen beziehungsweise Teilen. Die ersten vier beinhalten mehrere Kapitel. Erzählt wird ausschließlich in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Arkadia. Der Text ist sehr atmosphärisch und von ungewöhnlichen Metaphern durchzogen. Besonders gut haben mir Wortkreationen wie Pentatoniker und Tondichterin gefallen. Zudem ist es gelungen, sprachlich den Ton einer 13-Jährigen zu treffen, ohne in unglaubwürdigen Jugendslang zu verfallen. Arkadia ist eine unkonventionelle Protagonistin: Außenseiterin und musikalisch begabt, aber impulsiv, durchsetzungsstark, egozentrisch, mehr als nur selbstbewusst, gewaltbereit und eigensinnig. Sie hat Ecken und Kanten, sie macht Fehler und gesteht sich diese ein. Ihre ausufernden, wiederholten Fantasievorstellungen wie die, dass Beethoven weiblich war, sind mit der Vernunft oft nicht zu greifen. Dennoch wirkt ihr Innenleben authentisch und in sich stimmig. Auf der inhaltlichen Ebene vereint der Roman zwei thematische Bereiche. Das sind einerseits die Leidenschaft für klassische Musik und das Singen in professionellen Chören. Die Geschichte zelebriert musikalische Kunst, kritisiert zugleich aber den äußerst strengen, harschen und übertrieben disziplinierten Umgang der Chorleiter mit jungen Sängern. Letzteres hat der Autor selbst erlebt, wie er in Interviews hat durchblicken lassen. Da ist andererseits das Thema mentale Gesundheit. Die offenbar manisch-depressiven Verhaltensweisen der Mutter nehmen ebenso viel Platz ein wie die offenkundige Traumatisierung der Tochter, die vor allem mit Gewalt, Aggressivität und überbordender Fantasie auf eine Verlusterfahrung reagiert. Darüber hinaus hat der Autor weitere Aspekte eingearbeitet. So lässt er beispielsweise immer wieder Kritik an patriarchalischen Strukturen einfließen. Dies verleiht dem Roman eine weitere Facette. Die Geschichte ist anrührend, aber nicht kitschig. Und obwohl für mich die Hintergründe des Verschwindens bereits nach wenigen Kapiteln offensichtlich waren, habe ich mich auf keiner der knapp 240 Seiten gelangweilt. Dass zwar alle wesentlichen Fragen geklärt und dennoch Interpretationsspielräume gelassen werden, ist eine weitere Stärke des Romans. Ein Manko ist für mich hingegen das sehr hübsche, aber wenig passende Covermotiv. Die Darstellung des Mädchens und die Harmonie des Bildes werden dem Inhalt nicht gerecht. Unglücklich ist auch, dass fast zeitgleich ein anderer Roman mit diesem Motiv erschienen ist. Umso besser ist dagegen die Wahl des Titels, der eine lateinische Redewendung aufgreift und mit der Beschreibung der Werke Beethovens verbunden ist. Mein Fazit: Mit „Durch das Raue zu den Sternen“ ist Christopher Kloeble ein bewegender und besonderer Roman gelungen, den ich wärmstens empfehlen kann.