
Buchdoktor
Die Trilogie Trude Teiges vorhergehende Romane um die Norwegerin Tekla und ihre Ehe mit dem deutschen Wehrmachtssoldaten Otto, sowie die Kriegserlebnisse ihres Nenn-Großvaters Konrad im Indischen Ozean spielen während des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besetzung Norwegens, bis in die 50er Jahre. Im dritten Band erfährt die Berichterstatterin Juni von zwei Freundinnen Teklas, Birgit Johansen und Annelise Friedmann, die als Krankenschwestern nördlich des nördlichen Polarkreises in Bodø arbeiteten. Da die Erlebnisse der beiden Generationen parallel stattfinden, können die Romane unabhängig voneinander gelesen werden, ich halte es für sinnvoller, zuvor im ersten Roman Tekla kennenzulernen. Inhalt Teklas Freundin Birgit, mit der Juni durch Besuche vertraut war, sprach Russisch, das sie bei einem Exil-Russen lernte. Ihre Begegnung mit Ilja empfand sie als Fenster zur Welt. Durch Birgits Russisch-Kenntnisse gelangt sie in Bodø in Kontakt zu Zwangsarbeiter:innen, die u. a. aus Russland und der Ukraine von der deutschen Wehrmacht verschleppt wurden. Insgesamt berichtet die Icherzählerin Juni von bis zu 800 Gefangenen im Lager und 40 Babys, die inzwischen geboren waren. Zwangsarbeit zum Ausbau der norwegischen Infrastruktur im hohen Norden war lange kein Thema in Norwegen. Dass Birgit schließlich nach Kriegsende in der norwegischen Botschaft in Moskau als Agentin für die USA gearbeitet haben soll, hört Juni bei deren Beerdigung zum ersten Mal. Obwohl Birgit als Schwesternschülerin im Krankenhaus vermutlich bis zum Umfallen gearbeitet haben muss, gerät sie in den Kreis des norwegischen militärischen Widerstands gegen die Besetzung. Den unlösbaren Konflikt, dass sie zwar offiziell wie im Geheimen Einzelpersonen retten könnte, die Verhaftung einer Pflegekraft aber ein größerer Schaden für ihr Land wäre, zeigt Trude Teige hier anschaulich. Bereits in den 50er Jahren wird Birgit von einem Psychiater ermahnt, ihre persönlichen traumatischen Ereignisse in einer Therapie zu bearbeiten, Medikamente allein würden ihre psychische Erkrankung nicht heilen. Weitaus entschiedener als Birgit “alles kann man nie erzählen“, schweigt Marianne über ihre Erlebnisse. Mit dem Schicksal der drei Norwegerinnen nimmt Trude Teige den Faden kollektiver Verdrängung von Kriegstraumata auf. Deutschland wurde in den 80ern des vorigen Jahrhunderts unfreiwillig mit diesem Thema konfrontiert, als in der zwischen 1910 und 1920 geborenen Frauengeneration eine Häufung von schwereren psychischen Erkrankungen auftrat. Auch ich habe hautnah miterlebt, welch fatale Folgen kollektive (oder staatlich verordnete) Verdrängung von Kriegstraumata haben kann. … Fazit Wie in den vorhergehenden Romanen vermittelt Trude Teigesehr eingängig Erlebnisse und Traumatisierungen unter deutscher Besatzung Norwegens. Ob Birgit als spätere Angestellte im Außenministerium anders als die Normalbevölkerung privilegierten Zugang zu einer Therapie hatte, bleibt offen. Auch wenn sich im Roman Zufälle häufen, hat er unzweifelhaft das Verdienst, Verschwiegenes und Verdrängtes ins Bewusstsein zu rücken – vom Thema Zwangsarbeit, über norwegische Kollaborateure, Einzelpersonen, die Gefangene aus dem Land brachten, vererbten Traumata bis zum tief verwurzelten politischen und privaten Misstrauen, dass der Kalte Krieg zwischen Ost und West aufbaute.