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mabuerele

Posted on 3.7.2025

„...Wie viele Geheimnisse die Menschen doch mit sich herumtrugen, selbst jene, die man seit Jahren kannte...“ Dieser Gedanke von Josch kennzeichnet eines der Themen, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Die Autorin hat eine tiefgründiges Buch geschrieben. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Passende Metapher und gut gestaltete Gespräche machen das Lesen zu Vergnügen. Gleichzeitig ist immer wieder ein feiner Humor zu spüren. Kayla will sich im Ostallgäu ein neues Leben aufbauen. Sie hat sich ein Ladenlokal als Goldschmiedin gemietet und ein Zimmer in einer WG organisiert. Ihre Vorgängerin hat das allerdings chaotisch hinterlassen. Glücklicherweise steht sofort Mia, ihre Mitbewohnerin, auf der Matte und organisiert ihre Freunde zur Hilfe. Schneller als gedacht ist Kayla in diesen Freundeskreis integriert. Die Protagonisten werden gut charakterisiert. So unterschiedlich wie ihre Berufe sind, so verschieden sind sie in ihrer Art und Weise. Manche sind lebhaft, andere eher still, aber alle sind zupackend, wenn Hilfe erforderlich ist. Eines wird schnell deutlich. Jeder hat sein Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen, doch darüber spricht man nicht. Vor einer Bäckerei lernt Kayla Lio kennen. Die alter Frau ist obdachlos. Nach wenigen Tagen bietet ihr Kayla das freie Zimmer in der WG an. Josch kennt die Fakten. „..Ich war erstaunt, als ich kürzlich gelesen habe, das das Alter betreuter Obdachloser bei zweiunddreißig liegt...“ Lio nennt weder ihren wirklichen Namen, noch äußert sie sich zu ihrer Vergangenheit. Ab und an erfahre ich in Schreibschrift die Gedanken von Lio zum Leben und zum Glauben. Sie leidet an fortschreitender Demenz. „...Sie bringen mich zum Nachdenken. Zum Fühlen und Mitfühlen. Zum Lachen und auf verrückte Ideen. Wobei sie all das vermutlich nicht in mir auslösen könnten, wenn es nicht seit je her in mich hineingelegt wäre. All das sind Puzzleteile meines vergessenen ichs...“ Sie hat nach wie vor einen unverfälschten Blick auf die Menschen und ihre Probleme. Sie gibt der Gruppe wichtige Impulse. Betti ist Ernährungsberaterin. Sie hadert mit ihren Beruf, weil Erfolge ausbleiben. Lio wird konkret. „...Jeder Bissen ist kostbar, weil er Leben spendet. Ein Geschenk des Himmels, randvoll mit dem, was der Körper braucht, um zu funktionieren. […] Jeder Bissen ist es wert, dass man ihn genießt, den Geschmack auf der Zunge auskostet und sich seiner Kraft bewusst ist...“ Ohne viel Worte wird deutlich, dass Lio von einem tiefen Glauben getragen wird. Sie weiß, dass sie nicht mehr viel Zeit hat. Nicht nur ihr Gedächtnis lässt sie in Stich, auch ihr Herz wird nicht mehr lange schlagen. Mit den Protagonisten gehe ich auf Wanderung und lerne die Schönheiten des Allgäu kennen. Die Autorin findet treffende Worte, um die Landschaft lebendig werden zu lassen. Im Nachwort geht die Autorin kurz auf die Intention ein, die sie zu diesem Roman bewogen hat. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es geht um Vergebung, darum, sich zu öffnen, nicht nur die heiteren Stunden, sondern auch Schmerz und Verletzung miteinander zu teilen. Jeder darf sein, wie er ist, und wird doch aufgefangen.

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