
mabuerele
„...“Wieso bitte soll denn eine Frau nicht am Steuer sitzen?“ Beinahe kämpferisch hatte Ernestine sich vor der Klassenkameradin aufgebaut und schaute sie böse an. „Glaubst du etwa, Männer könnten das so viel besser?“...“ Schon die Diskussion auf der zweiten Seite des Romans kommt auf den Punkt. Immer wieder wird es in der Geschichte um die Stellung und die Rechte der Frau gehen, und das aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Autorin hat eine spannende Fortsetzung ihrer Reihe über das Pensionat an der Mosel geschrieben. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Er zeigt die Vielschichtigkeit der Zeitverhältnisse, aber auch den Aufbruch aus alten Strukturen, der schon in der Luft liegt. Wir schreiben das Jahr 1912. Neben alten Bekannten gibt es auch den einen oder anderen Neuzugang im Pensionat. Das Schuljahr scheint ohne größere Probleme anzufangen, als Wachtmeister Schrotherr im Pensionat erscheint. Er teilt Pauline mit, dass ihre Schülerin Sophie in Metz verhaftet wurde. Pauline ist schockiert, wähnte sie das Mädchen doch wegen einer Familienfeier bei ihren Eltern in Luxemburg. Kurzerhand fährt Pauline nach Metz, um sich um die Angelegenheit zu kümmern. Die Eltern holen Sophie. Noch ahnt diese nicht, welchen Preis sie für ihr Verhalten bezahlen muss. Dabei wollte sie sich nur für Frauenrechte einsetzen. In Metz trifft Pauline ihren ehemaligen Verlobten. Er hat einen kleinen Sohn und ist mittlerweile Witwer. Ist das seine Chance? Währenddessen sucht der preußische Hauptmann Erich von Pließnitz nach einem unverfänglichen Geschenk für Pauline. Die Szene entlockte mir ein Schmunzeln. „...Warum, kam es ihm in den Sinn, während er sich unter die zahlreichen Passanten mischte, war mit Frauen alles nur so kompliziert?...“ Noch mehr als in den anderen Bänden wird hier deutlich, in welcher Zwickmühle sich Pauline befindet. Als Tochter aus gutbürgerlichen Haus hat sie es geschafft, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Trotzdem ordnet sie sich in ihrem Verhalten den gesellschaftlichen Konventionen unter. Erich versteht das. Robert als Geschäftsmann sieht dagegen das Leben mit anderen Augen. Ihn interessiert, was er will, nicht die Meinung der Öffentlichkeit. Gut, als Mann kann er sich das erlauben. Die andere Seite ist, dass Pauline ihren Schülern im Unterricht beibringt, ihre Meinung offen und ehrlich zu sagen. Sie sollen selbst denken und nicht nur Vorgefertigtes nachplappern. Trotz aller Erfolge kommen immer wieder Sophies Selbstzweifel durch. Die Köchin Lisbeth sieht das Leben mit realistischen Augen: „...Hin und wieder geht auch mal was schief! Ist eben so. Das heißt aber nicht, dass das an Ihnen liegt, und schon gar nicht daran, dass Sie kein Mann sind. Pah! Was leisten die Kerle denn schon, wenn sie mit finsterer Miene am Lehrerpult stehen?...“ Nichtsdestotrotz stellt Pauline einen Mann für Mathematik und Naturwissenschaft ein. Anfangs war sie skeptisch. Er hat zwar seine Ecken und Kanten, aber auch einen Blick dafür, was andere leisten. Seine Arroganz ist mir anfangs bitter aufgestoßen, doch sein umfangreiches Allgemeinwissen überzeugt. Das Leben im Pensionat wird gut beschrieben. Die unterschiedlichen Charaktere und Begabungen der Mädchen sorgen für Abwechslung. Gerade die Älteren von ihnen sind bereit, sich schon selbstständig um Lösungen zu bemühen. Spannende und tiefgründige Gespräche bereichern die Handlung. Nicht zuletzt werden immer wieder politische Einstellungen thematisiert. „...Strenge gesellschaftliche Vorstellungen, besonders jungen Mädchen gegenüber, schienen so ziemlich das Einzige zu sein, was die sonst so untereinander entzweiten Völker Europas gemeinsam haben...“ Am Ende eines inhaltsreichen Jahres im Pensionat überwiegen die positiven Aspekte. Ein inhaltsreiches Nachwort, eine Karte von Diedenhofen und eine von Lothringen, jeweils ein deutsches und ein fremdsprachliches Glossar sowie ein umfangreiches Personenverzeichnis runden die Geschichte ab. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die umfangreichen Recherchen der Autorin lassen das Geschehen in Elsass – Lothringen lebendig werden.